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15. Europäische Asylkonferenz

Teilnehmende der Asylkonferenz fordern Ende entwürdigender Zustände in Flüchtlingslagern

Bestgreenscreen/Istock

Teilnehmende der 15. Europäischen Asylkonferenz von Kirchen und Diakonie auf Chios und in Athen haben in einer Erklärung ein sofortiges Ende der entwürdigenden Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln angemahnt. Konkret wird ein Ende des Hotspot-Ansatzes, der sofortige Transfer Asylsuchender auf das griechische Festland, bessere Aufnahmebedingungen auf den Inseln und ein Ende der Externalisierungsstrategie gefordert.

Erklärung der Konferenzteilnehmer der 15. Europäischen Asylkonferenz im Wortlaut

Wir - etwa 150 Teilnehmende aus 16 europäischen Ländern - haben uns anlässlich der 15. Europäischen Asylkonferenz vom 15. bis 20. Oktober 2018 auf Chios und in Athen versammelt. Die Veranstaltung wurde von der Churches´ Commission for Migrants in Europe (CCME) und der Diakonie Deutschland unter dem Slogan “Solidarity First” ausgerichtet.

Auf Grundlage unserer Diskussionen und Erkenntnisse fordern wir:

  • Die Beendigung des Hotspot-Ansatzes, sowohl in seiner bestehenden Form als auch als Vorlage für ein zukünftiges EU-Asyl-Regime.
  • Den sofortigen Transfer der Asylsuchenden von den Inseln auf das griechische Festland sowie die sofortige Verbesserung der Aufnahmebedingungen auf den Inseln. Die Verantwortung hierfür sehen wir gleichermaßen bei den europäischen und den griechischen Behörden.
  • Die Beendigung der Externalisierungsstrategie der EU zugunsten einer gemeinsamen Asylpolitik (GEAS), die in Bezug auf Aufnahme und Ablauf, Zugang zum Verfahren und Teilung der Verantwortung zwischen allen Partnern hohe Standards erfüllt.
  • Die Einrichtung sicherer Zugangswege nach Europa für Schutz und aus anderen Gründen, beispielsweise der Familienzusammenführung und Arbeitsmigration.

Begründung:
Uns schockieren die unwürdigen und erniedrigenden Bedingungen, unter denen Geflüchtete im Lager Vial auf Chios festgehalten werden. Auch die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung haben uns beunruhigt. Sie fühlen sich mit der Situation alleingelassen. Einer Situation, die aufgrund der griechischen Rolle als Türschwelle nach Europa entstanden ist und auf die wir die europäische Öffentlichkeit weiterhin aufmerksam machen müssen.

Uns irritiert das Fehlen klarer Verantwortlichkeiten zwischen den verschiedenen Akteuren wie EASO, Frontex und den griechische Behörden bei Aufnahme und Asylverfahren. Das Ergebnis sind verschiedene Stakeholder, die nicht oder nur teilweise die Rolle übernehmen, die sie eigentlich übernehmen müssen: So entsteht ein allgemeiner Zustand fehlender Verantwortlichkeiten. Wir sind dennoch beeindruckt von den Anstrengungen der griechischen Bevölkerung, den Freiwilligen und den lokalen wie internationalen Akteuren, die die ankommenden Frauen, Männer und Kinder bei ihrer Suche nach Sicherheit und einem Leben in Würde unterstützen.

Die vorherrschende Situation in Griechenland ist das Ergebnis der Abschreckungspolitik der EU, durch Intervention der EU und einiger Mitgliedsstaaten auf unterschiedlichen Ebenen wie etwa durch die EU-Agenturen Frontex und EASO: Geflüchtete sollen von Europa fern- oder zumindest an seinen Außengrenzen festgehalten werden. Dies zeigen das EU-Türkei-Abkommen und das Hotspot-Regime. Mit großer Sorge stellen wir fest, dass im Rahmen des Hotspot-Ansatzes keines der Versprechen zum Schutz der Geflüchteten tatsächlich eingelöst wurde – weder geteilte Verantwortung durch Transfer Asylsuchender in andere EU-Länder (Relocation), noch das Versprechen schneller und qualitativ hochwertiger Verfahren, noch die Verringerung des Drucks auf die Länder an den europäischen Außengrenzen.

In der Praxis untergräbt das System der Aufenthaltsbeschränkung von Personen, die auf der Suche nach Schutz in die Grenzgebiete der EU einreisen, deren Grundrechte und Menschenwürde. Dies führt zu Traumatisierungen, ist der Grund vieler Selbstmordversuche in den Hotspots, es zerstört die Gesundheit der Insassen, die keine Möglichkeit haben für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, die keinen Zugang zu angemessener medizinischer Betreuung und nur unzureichenden Zugang zu Bildungsangeboten bekommen. Es bedeutet eine Verletzung der physischen und psychischen Integrität der Menschen in den Hotspot-Lagern.

In Erinnerung an verschiedene Studien sowie der öffentlichen Erklärung2 der Versammlung der Konferenz der Europäischen Kirchen in Novi Sad vom Juni 2018 halten wir fest, dass längere Aufenthaltszeiten in Lagern schädlich sind für das Wohl von Menschen, besonders Kinder leiden darunter.

Erschwerend kommt eine de-facto rechtsfreie Situation in den Hotspots hinzu: In vielen Fällen gibt es effektiv keinen Zugang zu Asyl auf europäischem Boden auf Grundlage der neuen Unzulässigkeitsverfahren („Inadmissability-Check“) durch das Konzept“ sicherer Drittstaaten“. Häufig richten sich Entscheidungen in diesen Verfahren an Menschen, die diese nicht verstehen und die dadurch der Gefahr von Kettenabschiebungen ausgesetzt werden – ohne Zugang zu anwaltlicher Unterstützung oder die effektive Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung einlegen zu können.

In Hinsicht darauf und im Lichte einer immer restriktiveren Asylpolitik bekräftigen wir das allgemeine Recht auf Zugang zu einem vollständigen und hochwertigen Asylverfahren innerhalb der EU, unabhängig vom jeweiligen Weg, auf dem eine Person in die EU gelangt ist. Solche Verfahren sollten das Recht auf ein Familienleben und Familienzusammenführung während und nach einem solchen Verfahren beinhalten.
In der vorherrschenden Situation, in der Staaten an den Außengrenzen der EU alleingelassen werden, möchten wir erneut unsere Vision von „Solidarity First“ betonen. „Solidarität“ und „Teilen“ heißt, dass stärkere Schultern mehr tragen als schwächere und dass jeder Teil einbringt, was er zu geben im Stande ist.

Wir sind überzeugt, dass eine solche europäische Solidarität in der Praxis zu einem gemeinsamen System mit vergleichsweise hohen Standards für Aufnahme und Asylverfahren in ganz Europa führen würde. Entgegen der aktuellen Realität könnte ein System zur Bestimmung des für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates eingeführt werden, das auf persönlicher Präferenz und persönlichen Kontakten beruht.

Wir nehmen mit Besorgnis mehrere Fälle der Kriminalisierung von Solidaritätsakten Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln, auf dem Festland und auch in ganz Europa zur Kenntnis. Wir rufen erneut dazu auf, der Gefahr der Kriminalisierung von humanitärer Hilfe für Personen, die Sicherheit, Würde und Schutz suchen, entgegenzuwirken, unabhängig von ihrem Status und dem Recht , begründet gegen ihre inakzeptablen Lebensbedingungen zu protestieren.

Auch während unseres Aufenthalts in Griechenland wurde uns das Schicksal der Menschen vor Augen geführt, die bei dem Versuch sterben, die Ägäis, das Mittelmeer oder weitere Außengrenzen der EU zu überqueren. Diese Tode sind vor allem als Resultat der Hinderungsstrategien zu sehen. CEC und CCME rufen jedes Jahr im Juni dazu auf, derer zu gedenken, die auf ihrem Weg nach Europa ihr Leben verloren haben. In diesem Geiste haben wir im Rahmen einer Gedenkfeier auf Chios geschworen, dass wir das Andenken erhalten werden - “We will remember you!”.

Wir rufen zur Fortführung von Seenotrettungs-Missionen sowie zur unverzüglichen Ausschiffung der Geretteten in den nächstgelegenen Hafen auf, wie es das internationale Seerecht vorsieht. An oberster Stelle fordern wir die Einrichtung sicherer Wege nach Europa als weitere Möglichkeit Schutz zu erlangen, nach dem Beispiel der Pilotprojekte „humanitärer Korridore“, die von protestantischen und anderen Kirchen in Andorra, Belgien, Frankreich und Italien eingerichtet wurden, und dem Resettlement-Programm.

Wir sind uns bewusst, dass die Herausforderungen für die europäische Politik und deren Umsetzung in die Praxis beträchtlich sind, ein offenes, gastfreundliches Europa zu bilden. Ein Europa, das von der uneingeschränkten Achtung der Rechtsstaatlichkeit und nicht von Angst geprägt ist. Die Kirchen und die Zivilgesellschaft in Europa werden weiterhin ihren Teil dazu beitragen, dieses Ziel zu verwirklichen.

“Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ 2 Timotheus 1,7.

Erklärung zum Download

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