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Blog aus Griechenland - Teil 1

Thessaloniki - ein Brennpunkt europäischer Flüchtlingspolitik

bbiew

Ehrenamtliche aus verschiedenen Flüchtlingsinitiativen im Bereich der beiden Landeskirchen Hessen und Nassau sowie Kurhessen-Waldeck informieren sich zurzeit vor Ort über die Situation der Flüchtlinge in Griechenland. Geleitet wird die Begegnungsreise von der Pfarrerin für Friedensarbeit im Zentrum Oekumene, Sabine Müller-Langsdorf, die die Fahrt gemeinsam mit der Diakonie Hessen organisierte. Erste Station ist Thessaloniki. Berndt Biewendt berichtet in einem Blog.

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Viele Geflüchtete hängen in Griechenland fest – wie die syrischen Mütter, die in den letzten Monaten mehrfach wieder vor dem deutschen Konsulat in Thessaloniki demonstrierten. „We miss our children“ (Wir vermissen unsere Kinder) stand auf ihren handgeschriebenen Plakaten. Ihre Kinder hatten es allein oder mit ihren Ehemännern nach Deutschland geschafft. Die Anträge auf Familienzusammenführung aber blieben unbearbeitet und unbeantwortet. Für die Mütter gibt es kein Vor und kein Zurück. Ihre Lage ist bedrückend.

Helfen, wo Hilfe gebraucht wird

„Wenn ich mich um die großen politischen Zusammenhänge kümmern würde, würde ich verrückt werden“, sagt Verena. Die Kulturpädagogin ist eine deutsche Freiwillige, die sich in Thessaloniki für Flüchtlinge engagiert. Die 44jährige wohnte in München und  half dort 2015 bei der Erstversorgung, als die Balkanroute noch offen war und zigtausende Flüchtlinge sich auf den Weg nach Deutschland machten. Jetzt wohnt sie vorübergehend in der deutschen evangelischen Gemeinde von Thessaloniki, sucht von dort eine Wohnung, weil sie sich dauerhaft in Griechenlands zweitgrößter Stadt niederlasen will. Ihr geht es um konkrete Hilfe und Unterstützung für die Flüchtlinge. Doch sie betont auch, dass viele Freiwillige am Ende ihrer Kraft seien. Der deutschen Gruppen zeigte sie die Plätze in Thessaloniki, wo die Geflüchteten noch im vergangenen Jahr unter freiem Himmel campierten. Die Lage spitzte sich damals zu, als das Lager Idomeni an der mazedonischen Grenze geschlossen wurde.

Ein Leben im ungewissen Wartestand

Heute leben die Geflüchteten in verschiedenen Lagern außerhalb der Stadt. Sie werden so offenbar unsichtbar gemacht. Aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit sind sie weitgehend verschwunden. Dabei leben allein Griechenland rund 60.000. Privatpersonen haben zu den Lagern keinen Zutritt. Mitarbeiter von NGOs, den Nicht-Regierungsorganisationen kommen hinein. Einer von ihnen ist Philipp aus Deutschland. Er ist für die griechische Organisation Arsis tätig, die jugendliche, minderjährige Flüchtlinge betreut. „In den Lagern gibt es eine so genannte Sicherheitszone, in er die Jugendlichen untergebracht sind. Sie dürfen das Lager zwar verlassen und sich frei bewegen. Aber jede Fahrt in die Stadt kostet Geld“, erläutert Philipp. Und Geld haben die Geflüchteten nicht. Es ist ein Leben im Wartestand mit ungewissem Ausgang. Viele der Ehrenamtlichen äußerten sich überrascht und schockiert, dass in Deutschland so wenig über die Situation bekannt ist. Seitdem die Balkanroute geschossen und nur noch wenige nach Deutschland kommen, scheint das Problem aus dem Blickfeld geraten zu sein. Doch auch deshalb ist die Gruppe aus Deutschland gekommen. Sie will den Fokus wieder auf einen der Brennpunkte europäischer Flüchtlingspolitik lenken.

Eine Stadt mit wechselvoller Geschichte

Bei einem Rundgang durch die Altstadt machte Sabine Müller-Langsdorf deutlich, dass Thessaloniki eine hohe symbolische Bedeutung für Migration,  Flucht und Vertreibung hat. Am Galeriusbogen, der aus dem 4. Jahrhundert stammt, verlief die einstige West-Ost-Achse, die Rom mit Konstantinopel verband und große Bevölkerungsbewegungen nach sich zog. Daneben steht die Rotunde, die in römischer Zeit als Kultstätte oder Mausoleum war, dann in eine Kirche umgewandelt wurde bis sie unter türkischer Herrschaft eine Moschee wurde und im Anschluss wieder als christliche Kirche genutzt wurde. 1922 gab es dann den großen Bevölkerungsaustausch. Anderthalb Millionen orthodoxe Christen mussten die Türkei verlassen und etwa eine Million Muslime Griechenland.

Juden in Thessaloniki

Anja Harzke, Koordinatorin für Flüchtlingsarbeit in Frankfurt, erinnerte zudem daran, dass Thessaloniki über Jahrhunderte eine mehrheitlich jüdische Stadt war. Juden hatten Wirtschaft, Handwerk, Fischerei und Handel maßgeblich geprägt. Ben Gurion, der erste Präsident Israels sprach 1911 bei seinem Besuch in Thessaloniki von einer „jüdischen Arbeiterstadt“. Das änderte sich zunächst 1917, als ein Großbrand die hauptsächlich von Juden bewohnte Altstadt vernichtete. Das jüdische Leben in Thessaloniki beendeten vollends Nazis, als sie 1941 die Stadt besetzten und die Juden in die Vernichtungslager deportierten.

Flucht und Migration sind Teil der Menschheitsgeschichte

Hildegund Niebch von der Diakonie Hessen meinte, dass sich das Thema Flucht und Migration wie ein roter Faden durch die Bibel ziehe und im Grunde so alt sie wie die Menschheit. „Wenn man das wahrnimmt, können wir heute im Grunde gelassener damit umgehen“, betonte die Diakonie-Mitarbeiterin, die für das Referat Flucht und Asyl tätig ist. Sie bat die 17 Ehren- und vier Hauptamtlichen, die an der einwöchigen Begegnungsreise teilnehmen, sich in zwei Gruppen aufzuteilen. Eine Gruppe sollten diejenigen bilden, die einen Migrationshintergrund haben, deren Eltern oder Großeltern nach dem 2. Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, die familiäre Bindung mit Menschen ausländischer Herkunft haben oder deren Vorfahren ausgewandert sind. Von 21 Personen traf das auf 17 zu. Nur vier hatten in ihrer Familie noch nichts mit Migration zu tun.

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