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Sport gegen Drogen einsetzen

Vom Junkie zum Ironman

Karsten Fink

Viele Junkies sterben durch den Konsum illegaler Drogen. Andreas Niedrig ist einen anderen Weg gegangen: den des Ironman. Anfang 2013 hatte sein Dokumentarfilm "traumwärts" Premiere. Darin nimmt er den Zuschauer mit zu einem der härtesten Radrennen der Welt, dem Race Across America (RAAM).

Seine Lebensgeschichte wurde mit Max Riemelt und Uwe Ochsenknecht unter dem Titel „Lauf um dein Leben“ verfilmt. Andreas Niedrig, einer der weltbesten Triathleten, war fast zehn Jahre drogenabhängig. Was mit 13 Jahren mit Marihuana, Koks, Speed und LSD begann, steigerte sich zur Heroinsucht, die Niedrig in die Kriminalität und zu einem Selbstmordversuch trieb.

Sein Buch „Vom Junkie zum Ironman“, in dem er seinen Weg aus der Drogensucht schildert, sorgte in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen. Seit 2000 hält Niedrig Vorträge zu Suchtprävention und Motivationstechniken. Dazu hat er unter anderem mit der Fachstelle Prävention des Vereins Arbeits- und Erziehungshilfe e.V.  in Frankfurt zusammengearbeitet und Schulklassen  besucht. Sein neuer Film heisst „traumwaerts“ und ist seit Anfang 2013 in ausgewählten Kinos zu sehen. Jörn Dietze hat mit ihm Glaube, Sucht und Prävention gesprochen.

Herr Niedrig, der Sport hat Ihnen geholfen, von der Sucht loszukommen. Sehen Sie sich in dieser Hinsicht als Vorbild?

Ich möchte den Sport nicht auf einen Sockel stellen. Der Sport ist eine Metapher dafür, etwas zu entdecken, mit dem man Zufriedenheit findet, positive Herausforderungen anzunehmen und nach Niederlagen wieder aufzustehen.

Das vermitteln Sie ja auch an Schulen. Welche Botschaft steckt dahinter?

Der liebe Gott hat uns auf die Welt geschickt mit besonderen Talenten. Wir sind nur nicht bereit, danach zu suchen. Weil wir Angst haben, auf Widerstand und Ablehnung zu stoßen, auf Situationen, die wir nicht bewältigen können.

Woher kommt diese Angst?

Ich glaube, es ist eine Urangst, die deutlich verstärkt wird durch unsere Medienwelt: Magazine, die uns immer wieder verkaufen, wie toll wir aussehen müssen, was wir alles besitzen müssen. Auch die ganzen Casting-Shows zeigen jungen Menschen einfach nicht die reale Welt. Und für manche bedeutet das, sich zurückzuziehen, weil sie Angst haben, all dem nicht gerecht zu werden.

Wann sollte man das mit Kindern thematisieren?

So früh wie möglich. Jedes Kind ist an sich erst einmal in positiver Weise zielorientiert – mit vielen Träumen und Wünschen: Mädchen wollen Prinzessin werden, Jungs Pilot. Je älter wir werden, umso mehr geben wir uns mit dem zufrieden, was uns die Gesellschaft vorsetzt. Das fängt im Kindergarten an, in der Schule geht es dann weiter. Kindern traut man viel zu wenig zu. Und wenn man so tut, als wäre man als Eltern immer nur stark, und Kindern nicht vorlebt, Gefühle zu zeigen, dann neigen sie irgendwann zu Verhaltensauffälligkeiten, Gewalt – und Sucht.

Was können Jugendliche selbst dagegen tun?

Sich morgens zum Beispiel mal eine halbe Stunde vor Schulbeginn treffen, im Kreis sitzen und mitteilen, wie es ihnen geht. Ich wette, da sagen einen Monat lang alle immer nur: Mir geht’s gut. Bis mal einer zugibt: Zuhause, da läuft es so scheiße und ich fühl mich so schlecht. Dann fängt auch der Nachbar an und irgendwann reicht die halbe Stunde nicht mehr.

Haben Sie selbst so etwas vermisst?

Sehr, eigentlich hätte nicht ich Hilfe gebraucht, sondern meine Eltern. Für mich war die Phase, in der ich stoffgebunden abhängig war, eine Zeit des Überlebens. Diese Gefühllosigkeit, die ich als Kind gespürt habe, hätte mich normalerweise umgebracht. Die meisten Abhängigen sind völlig lebensgierige Menschen, die ganz viel wollen und auch ganz viel Gespür für Gefühle haben, aber sich nicht abgrenzen können. Die nehmen und nehmen und nehmen, können aber nichts nach außen transportieren – und bleiben dann damit allein.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie das anders erlebt haben?

Ich lernte eine Philippinin kennen, die plötzlich Rotz und Wasser heulte, weil sie per SMS erfahren hatte, dass eine Freundin bei einem Bombenattentat gestorben ist. Die hat ihre Gefühle total ausgelebt. Am Abend haben wir dann eine Party gehabt und sie hat voll getanzt. Wenn sie alles so bei sich behalten hätte, dann hätte sie irgendwo unglücklich in der Ecke rumgesessen.

Und was hat dieses Ausleben mit Drogensucht zu tun?

Es gibt da ein treffendes Bild: Menschen, die auf der Klaviatur der Möglichkeiten eine schöne Melodie spielen können, sind nicht suchtgefährdet. Menschen, die nur zwei Tasten haben – zum Beispiel arbeiten und saufen –, dagegen stark. Jugendliche bekommen heute keine Wege mehr aufgezeigt, wie man sich in positiver Weise ausprobieren kann. Dabei gehört Grenzen-Austesten zum Leben – Erfahrungen und Möglichkeiten sammeln, Emotionen durchleben. Wir haben eine geile Welt. Und das heißt, Kinder erleben lassen und sie dabei begleiten.

Warum fehlt das heute oft?

Die Generationen vor uns haben viel enger zusammengelebt. Heute schotten sich Familien immer mehr ab. Wir fahren daher einmal im Jahr in eine Feriensiedlung, wo zahlreiche Bekannte von uns sind. Die Kinder sind den ganzen Tag über zusammen und immer mal in verschiedenen Familien. Dabei lernen sie eine Vielfalt kennen, die wir alleine nie bieten könnten. Eltern können heute zu wenig loslassen, weil sie immer denken: Die Kinder müssen so werden, wie ich es will.

Was hat Sie bewogen, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ich habe festgestellt, dass ich damit Offenheit schaffe. Als ich zum ersten Mal in der Schulklasse meiner Tochter und bei einem Elternabend sprach, haben die Schüler von ganz alleine überlegt: Was haben wir für Süchte im Alltag? Von den Eltern hat sich keiner getraut, eine Frage zu stellen. Aber drei Tage später kam der erste Anruf von einer Mutter, die mich um Hilfe bat, weil ihr Mann zu viel trinkt. Dann kam die nächste: Mein Sohn kifft ...

Gab es auch Negatives?

Sicher. Nach dem Erscheinen des Buches habe ich alle meine Sponsoren verloren. Ein Exjunkie war nicht mehr schick. Das war auch mit meine Schuld, weil ich mich von den Medien habe benutzen lassen. Vor einigen Jahren hatte ich dann eine Schleimbeutel-OP, die daneben ging, weil die Achillessehne abgeschnitten wurde. Ich konnte zwei Jahre keinen Sport machen, wurde neunmal nachoperiert. Da habe ich gemerkt, wo ich eigentlich stehe im Leben. Ich habe von einem auf den anderen Tag nichts mehr verdient. Die Sponsoren waren wieder weg und wir haben alles verloren: das Geld, was wir uns an die Seite gelegt hatten – alles weg. Aber da habe ich auch gespürt: Das ist nicht wichtig, solange du deine Familie und deine wirklichen Freunde hast.

Wird das auch in dem Film deutlich?

Ja, das will ich: Wenn ich es hinkriege, Werte in einem Film rüberzubringen, die heute flöten gehen – dann schaffe ich noch viel mehr, als mit meinen Seminaren: Loyalität, Freundschaft, Liebe.

Und die Botschaft?

Der Film wirft viele Fragen auf und regt Menschen zum Nachdenken an. Und mir gibt er die Riesenchance, die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Ich brauche Sponsoren, damit ich dahin gehen kann, wo Jugendliche neue Chancen brauchen – nicht nur an die Gymnasien, sondern auch an die vermeintlich schwächeren Schulen. Die Schüler da haben eigentlich ganz viel Potenzial, aber verrennen sich. Wenn man den Spruch bringt ‚Kinder sind unsere Zukunft‘, muss man auch bereit sein, unsere Kinder durch Prävention stark zu machen.

Glauben Sie an Gott?

Je älter ich werde, umso mehr suche ich und umso mehr glaub ich auch. Fast alles ist wissenschaftlich erklärbar: der Körper, das Wachsen – alles. Aber das, was uns ausmacht, unsere Persönlichkeit, unser Gefühl, unsere Seele, – was jeden Menschen einzigartig macht, kann mir kein Wissenschaftler erklären. Und das ist für mich Gott. Ich glaube ganz fest daran, dass jeder für sich etwas von Gott in sich trägt. Wenn ich anderen Menschen begegne, die ihren Glauben intensiv leben, kann ich ganz viel mitnehmen.

Hängen Glaube und Suchtverhalten irgendwie zusammen?

Das Wort Sucht kommt für mich von Suchen, obwohl Wissenschaftler sagen, es leitet sich von Siechen ab. Wenn ich in der Schule über meine Suche spreche, fangen plötzlich viele Schüler an, von ihrem Glauben zu erzählen. Die haben alle einen – nur keiner gibt denen die Hand und nimmt sie mit.

Und was macht Ihren persönlichen Glauben aus?

In Situationen, wo man den Glauben an sich selbst verliert, etwas zu haben, das mich stützt. Nicht Entscheidungen abnimmt, aber auffängt. Als sehr wohltuend empfinde ich es immer, wenn ich merke: Da sind andere Menschen, die glauben an das Gleiche, ich bin nicht allein und brauche nicht großartig reden. Das gibt mir ein Gefühl der Stärke. Doch der für mich wichtigste Teil meines Lebens ist sicherlich meine Familie. Wenn meine Frau mich damals nach meiner Abhängigkeit nicht aufgefangen hätte, ich wüsste nicht, was aus mir geworden wäre. Aber auch heute geben mir meine Frau und meine Kinder die Kraft, um die Stärke zu haben, meine Projekte umzusetzen. Ohne meine Familie wäre ich nicht ansatzweise der Mensch, der ich heute bin.

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