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Aufruf

Wissenschaftler:innen fordern Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik

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Rund 270 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Asylrecht und der Flucht- und Migrationsforschung fordern einen „Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik“. Die Debatte über Flucht und Asyl werde weitestgehend faktenfrei geführt, dadurch würden Ängste geschürt und gesellschaftliche Probleme Schutzsuchenden angelastet, kritisiert der Aufruf. Zudem würden kurzerhand rechtsstaatliche und menschenrechtliche Minimalstandards für populistische Überschriften geopfert.

Aufgrund der aktuellen politischen Debatten haben Wissenschaftler*innen aus dem Bereich Asylrecht und Fluchtforschung, Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl, Prof. Dr. Nora Markard und Ulrike Krause, eine Stellungnahme für einen Menschenrechtspakt in der deutschen Flüchtlingspolitik initiiert. Die Stellungnahme wurde von 270 Forschenden im Asylrecht und der Fluchtforschung erstunterzeichnet. Die Wissenschaftler:innen betrachten die jüngsten politischen Debatten und Forderungen mit großer Sorge. Sie wenden sich mit Nachdruck dagegen, die Entrechtung von geflüchteten Menschen weiter voranzutreiben. Stattdessen bedürfe es eines bundesdeutschen Menschenrechtspakts in der Flüchtlingspolitik.

Aufruf von 270 Wissenschaftler:innen

Wieder einmal steht der Umgang mit Geflüchteten im Fokus der politischen Debatten. In der Öffentlichkeit wird darüber sinniert, man müsse »Undenkbares denken«, »moralisch schwierige Entscheidungen treffen«, und es wird nach einer »Wende in der Migrationspolitik wie dem Asylkompromiss der 1990er Jahre« verlangt. Nun steht die Annahme im Raum, es bedürfe eines »Deutschlandpakts gegen irreguläre Migration«.

Anstatt weiterer Einschränkungen in einem »Deutschlandpakt« braucht es jetzt einen Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik 

Als Wissenschaftler*innen aus dem Asylrecht und der Fluchtforschung, die seit Jahren die Flüchtlingspolitik untersuchen und kommentieren, sehen wir die jüngsten politischen Debatten und Forderungen mit großer Sorge. Die Debatte über Flucht und Asyl wird weitestgehend faktenfrei geführt. Dadurch werden Ängste geschürt und gesellschaftliche Probleme Schutzsuchenden angelastet. Zudem werden kurzerhand rechtsstaatliche und menschenrechtliche Minimalstandards für populistische Überschriften geopfert.

Wir wenden uns daher mit entschiedenem Nachdruck gegen den Versuch, im Schnellverfahren und in einem »Deutschlandpakt« die Entrechtung von Menschen auf der Flucht weiter voranzutreiben. Stattdessen bedarf es eines bundesdeutschen Menschenrechtspakts in der Flüchtlingspolitik.

Ein solcher Menschenrechtspakt ermöglicht es, jenseits populistischer Parolen eine menschenrechtskonforme Ausrichtung in den Mittelpunkt zu stellen. Dies wäre keinesfalls neu, sondern würde auf dem bestehenden rechtlichen und politischen Rahmen beruhen.

In dem Pakt sollten politische Strategien zum Umgang mit Schutzsuchenden festgehalten und die Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen und Gesellschaft konkretisiert werden. So gibt es entgegen der öffentlich geführten Debatte in Deutschland Kommunen, die Menschen aufnehmen wollen und Platz für Schutzsuchende haben; diese Angebote muss die bundesdeutsche Politik wahr- und ernstnehmen, auch um Druck von überlasteten Kommunen zu nehmen. Zudem ist eine nachhaltige Planung für die Aufnahme der Menschen in den Wohnungs- und Arbeitsmarkt umzusetzen. Die nötigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel für Betreuungseinrichtungen und Schulen, kommen am Ende allen Menschen zugute. Um gesellschaftlichen Spannungen entgegenzuwirken, sollte die Gesellschaft involviert und müssen Debatten sachorientiert, empiriebasiert und konstruktiv geführt werden.

Die Einhaltung völker- und menschenrechtlicher Normen, zu der sich Deutschland vertraglich und im Rahmen der EU verpflichtet hat, ist für einen Rechtsstaat unverzichtbar. Auch auf europäischer Ebene darf die Bundesregierung daher eine Abschottungspolitik mit tödlichen Grenzen nicht unterstützen. Stattdessen muss sich die deutsche Politik für ein Ende der menschenrechtswidrigen Pushbacks, der Kriminalisierung von Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen sowie für rechtsstaatliche Asylverfahren einsetzen. Die Lage in den Herkunfts- und Transitstaaten zu verbessern, ist natürlich relevant, aber Deutschland darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen und muss die reale aktuelle Menschenrechtslage berücksichtigen.

Gerade die Bundesrepublik Deutschland hat eine historische Verantwortung für das Flüchtlings- und Asylrecht. Im Zweiten Weltkrieg hat die nationalsozialistische Gewalt zur Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen geführt. Versuche, in der internationalen Staatengemeinschaft eine Einigung zur Aufnahme von jüdischen und anderen Flüchtlingen zu erzielen, scheiterten; im Angesichts des Todes standen daher viele vor verschlossenen Türen. Unter dem Eindruck dieser Gräueltaten und dieser Schutzverweigerung hat die Staatengemeinschaft nach 1945 verbindliche Flüchtlings- und Menschenrechtsabkommen geschaffen. Sie gelten als historische Meilensteine. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und alle Menschenrechtsabkommen ratifiziert und sich somit zur Einhaltung der darin verbrieften Rechte verpflichtet.

Wie bedeutsam die Einhaltung dieser Rechte sind, belegen nicht zuletzt die Erfahrungen der 1990er Jahre. Durch den sogenannten »Asylkompromiss« von 1992 wurden weitreichende asylrechtliche Einschränkungen eingeführt. Sie wirkten gemeinsam mit der medialen Berichterstattung als Brandbeschleuniger für flüchtlingsfeindliche und rassistische Gewalt. Dies muss heute Warnung für die gefährlichen Folgen populistischer und restriktiver Politiken sein und nicht Vorbild für die Flüchtlingspolitik.

Die rasche Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge war und bleibt richtig und wichtig. Sie darf nun aber nicht gegen ebenso schutzbedürftige andere Geflüchtete ausgespielt werden. Die Menschenrechte müssen der Maßstab der bundesdeutschen Politik sein. Dies gilt es, in einem neuen Menschenrechtspakt für die Flüchtlingspolitik zu bekräftigen und zu konkretisieren.

Aufruf und Unterzeichnende

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