Unterstützung von Caritas und Diakonie
„Abschiebungshaft ist häufig rechtswidrig“
Erika von BassewitzZwischen Abschiebegefängnis und Flüchtlingswohnheim05.04.2016 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
230 Personen waren im vergangenen Jahr in der Abschiebungshaft Ingelheim inhaftiert, darüber informiert die Diakonie Hessen in einer Mitteilung am 5. April 2016. Während es noch im Jahr 2013 einen Tiefststand von knapp 100 Inhaftierungen in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) Ingelheim gab, ist die Zahl in den letzten beiden Jahren signifikant angestiegen: von 164 im Jahr 2014 auf 230 im Jahr 2015. Viele der Inhaftierungen waren auch im vergangenen Jahr rechtswidrig. Dies ist das Ergebnis der diesjährigen Auswertung des Rechtshilfefonds, den Diakonie und Caritas gemeinsam zur Verfügung stellen.
„Unhaltbarer Zustand“
„Dass die Abschiebungshaft in unserer Region und auch bundesweit offensichtlich wieder verstärkt genutzt wird, ist bestürzend. Bei mehr als der Hälfte der durch den Fonds unterstützten Fälle handelt es sich auch noch um rechtswidrige Inhaftierungen. Dies ist ein von uns seit Jahren kritisierter unhaltbarer Zustand“, sagen Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, und der Mainzer Diözesancaritasdirektor Hans-Jürgen Eberhardt unisono.
Kirchlicher Rechtshilfefonds unterstützt Inhaftierte
Den Menschen in der Haft beizustehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Haftanordnung juristisch überprüfen zu lassen, ist das Ziel des gemeinsamen ökumenischen Engagements in der Abschiebungshaft in Ingelheim. Neben einer unabhängigen Beratungsstelle stellen Caritas und Diakonie auch einen Rechtshilfefonds zur Verfügung und ermöglichen kostenlose Rechtsberatung durch erfahrene Asylrechtsanwälte.
Überprüfung führte zum Teil zu Haftentlassungen
In 39 Fällen wurde im letzten Jahr eine juristische Überprüfung durch den Rechtshilfefonds von Caritas und Diakonie unterstützt. Wie notwendig diese Hilfe ist, belegt die Tatsache, dass die Überprüfung in 15 Fällen direkt oder indirekt zur Haftentlassung der Betroffenen geführt hat. „In weiteren sechs Fällen stellten die Landgerichte die nachträgliche Rechtswidrigkeit der Haft fest“, so Eberhardt.
„Abschiebungshaft macht krank und ist extrem teuer“
Auch die sogenannte Dublin-Haft erlebt eine Renaissance, obwohl diese Mitte 2014 durch die Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichtshofs für rechtswidrig erklärt wurde.
„Hier wurde eine historische Chance vertan, die Abschiebungshaft ganz abzuschaffen“, kritisiert Gern. „Wir wissen, dass Abschiebungshaft krank macht und extrem teuer ist. Außerdem stellen wir grundsätzlich in Frage, dass Menschen eingesperrt werden, die bei uns Schutz suchen“, so Gern.
Kritik an Abschiebehaft als Abschreckungsinstrument
Es steht zu befürchten, dass durch die gesetzlichen Verschärfungen, insbesondere durch die Asylpakete I und II, das Instrument der Abschiebungshaft wieder verstärkt durch die Ausländerbehörden als Abschreckungsinstrument genutzt wird. „Wir müssen uns gegen diese Entwicklung stemmen, um ein Roll-Back in längst vergangene Zeiten der vorschnellen und flächendeckenden Abschiebungshaft, insbesondere bei Dublin-Fällen zu verhindern“, konstatieren Gern und Eberhardt gemeinsam.
Die Abschiebungshaft in Ingelheim wird von den Ländern Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen und Baden-Württemberg genutzt, wobei Haftanordnungen aus Hessen und Baden-Württemberg bei Weitem überwiegen. Nur zwei Fälle stammten im Jahr 2015 aus Rheinland-Pfalz.
Fallbeispiel: Rücküberstellung trotz labilem psychischen Zustand
Herr O. aus Eritrea war über Italien nach Deutschland gekommen und sollte dorthin aufgrund eines Dublin-Bescheides zurückgeschoben werden. In Italien erhalten auch anerkannte Flüchtlinge keinerlei Unterstützung und sind von Obdachlosigkeit bedroht. Verzweifelt versuchte Herr O. der Abschiebung zu entgehen, indem er bei der Abholung durch die Polizei aus dem Fenster seiner Unterkunft sprang. Nachdem im Krankenhaus keine schwerwiegenden Verletzungen festgestellt wurden, beantragte die zuständige Ausländerbehörde für ihn Abschiebungshaft. Trotz seines labilen psychischen Zustands wurde er als haftfähig angesehen. Die eingelegte Haftbeschwerde blieb zunächst erfolglos und Herr O. wurde per Charterflug nach Italien überstellt. Wegen der fehlenden Möglichkeit, in Italien Fuß zu fassen, kehrte er nach Deutschland zurück. Das Beschwerdeverfahren in Bezug auf die Abschiebungshaft beim Landgericht ist noch nicht abgeschlossen und sein Asylverfahren beim Bundesamt betreibt er mit anwaltlicher Unterstützung weiter.
Stichwort: Abschiebungshaft in Ingelheim
Die Abschiebungshaft in Ingelheim existiert seit Mai 2001. Sie hatte ursprünglich 152 Haftplätze, die durch Umbaumaßnahmen auf etwa 40 Plätze verringert wurden. Seit November 2015, als sich regelmäßig nur etwa fünf Personen in Haft befanden, ist die Anzahl der Inhaftierten rasant gestiegen. Anfang Februar waren 35 Personen in Ingelheim inhaftiert, so dass derzeit ehemals still gelegte Flure wieder für den erweiterten Betrieb hergerichtet werden. Die Zahlen schwanken aufgrund von Sammel-Abschiebungen, insbesondere in den Kosovo und nach Albanien, stark.
Derzeit befinden sich 19 Personen in Haft (Stand 14.03.2016).
Stichwort: Ökumenische Beratungsstelle von Caritas und Diakonie
Diakonie und Caritas bieten seit 2001 in ihrem ökumenischen Beratungsprojekt in der Abschiebehaft in Ingelheim unabhängige Beratung durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter an. Einmal pro Woche kommen im Wechsel vier im Asyl- und Ausländerrecht erfahrene Rechtsanwälte nach Ingelheim, um eine für die Inhaftierten kostenlose Rechtsberatung anzubieten. Die Beratungsstelle organisiert einen Pool von Sprachmittlern, auf den bei Verständigungsschwierigkeiten zurückgegriffen werden kann.
Unterstützung finden die Beratungsstelle und die inhaftierten Menschen auch durch die unentbehrliche ehrenamtliche Beratung von Amnesty International.
Stichwort: Rechtshilfefonds
Der Rechtshilfefonds unterstützt Personen, die nicht über eigene Geldmittel verfügen. Mithilfe des Fonds werden Verfahren teilfinanziert, in denen die Anordnung der Abschiebungshaft überprüft wird. Der Rechtshilfefonds wird ebenso verwendet, um asyl- und ausländerrechtliche Schritte einzuleiten. Er wird von Caritasverbänden und Diakonischen Werken in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg finanziert.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken