„Barmherziger Gott“
Bischof ermutigt zu gemeinsamem Beten und Handeln der Religionen
medio.tv/schauderna22.11.2016 mww Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Religion polarisiert und wird zum Politikum
Hein wies in seiner Analyse der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Lage darauf hin, dass Religion keine Privatsache sei, sondern zunehmend zu einem Politikum werde: „Sie polarisiert: Wird sie von den einen als Wurzel allen gegenwärtigen Übels angesehen, ist sie für die anderen eine Möglichkeit zur Befriedung der Welt. Die einen sehen ein hohes Aggressionspotenzial in den Religionen, die anderen betonen den Impuls zur Versöhnung und zum Frieden." Während das Verhältnis zum Islam zu Diskussionen führe, formiere sich zugleich ein Antisemitismus, der in bedenklicher Unkenntnis gegenüber dem Judentum begründet sei und in einer bisher nicht gekannten Schamlosigkeit und Ignoranz alte Vorurteile aufgreife. Hinzu komme ein wachsender Säkularismus, der die Religion aus politischen und gesellschaftlichen Fragen ausklammern wolle.
Interreligiöses Gespräch und aktive Toleranz sind gefragt
Aufgabe und Herausforderung der Kirchen sei es in dieser Zeit, sich der Frage des interreligiösen Gesprächs zu stellen und aktiv daran mit zu arbeiten, dass das Christentum, das Judentum und der Islam in der Gestaltung einer freiheitlichen Gesellschaft zueinander finden: „Nur in einer freiheitlichen Gesellschaft kann es zu einem friedlichen und darin auch friedensfördern-den Miteinander der Religionen kommen. Und das darf nicht nur ein Nebeneinander der Duldung, also der passiven Toleranz sein, sondern es sollte zu einer wechselseitigen Begegnung führen, zu aktiver Toleranz."
Angesichts zunehmender Unbarmherzigkeit die Frage nach der Barmherzigkeit stellen
In einem Klima stetig abnehmenden Mitgefühls stelle sich immer dringlicher die Frage nach Barmherzigkeit: „Wir erleben nicht nur die zügellose Gewalt der Auseinandersetzungen in Syrien. Auch in unserem Land droht die Schwelle zur Anwendung verbaler oder handgreiflicher Gewalt stetig zu sinken. Wir erleben eine zunehmende Empathielosigkeit!"
Eine gemeinsame Basis der drei monotheistischen Religionen sei dagegen, dass sie zu einem Gott beten, der sich als barmherzig offenbart: „Die Frage nach einer gemeinsamen Praxis der Barmherzigkeit und einer gemeinsamen Praxis der Anrufung Gottes als zentrale religiöse Handlungen steht daher für uns als Kirchen auf der Tagesordnung."
In Gelassenheit und Offenheit den Geschwistern begegnen
Gerade weil Juden, Christen und Muslime gemeinsam auf Gottes Barmherzigkeit vertrauten und aus ihr lebten, sei das Gespräch zwischen Christen und Muslimen (und unter noch einmal anderen Voraussetzungen zwischen Juden und Muslimen) eine besondere Herausforderung, zu der es die nötige Gelassenheit und Offenheit brauche: „Denn Islam und Christentum sind Geschwister, die sich näher sind, als ihnen oft bewusst und auch lieb ist. Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, ist Streit unter Geschwistern eine konflikthaltige Situation, dessen Bearbeitung besonderer Sorgfalt bedarf. […] Was uns eint, ist zugleich das, was zwischen uns umstritten ist und uns letztlich trennt."
Die Vielfalt des Islam bejahen und stärken
Im Blick auf den Islam gelte es, seine Vielfalt zu stärken und das Gespräch zu suchen. So könne man den innerislamischen Bemühungen, den Fundamentalismus in die Schranken zu weisen, beistehen: „Nur unter dieser Perspektive können wir verhindern, dass uns eine eher kleine, aber momentan sehr einflussreiche Minderheit in der islamischen Community die Wahrnehmung dessen verstellt, was wirklich der Fall ist. Wir können auf diese Weise die dem Leben zugewandten Kräfte des Islam stärken, indem wir Wege zu einer gemeinsamen Praxis der Barmherzigkeit suchen!"
Wir beten zu demselben Gott
„Beten wir zu demselben Gott? Glauben wir an denselben Gott?" fragte Hein provokativ. Da das Gebet die „schlechthin religiöse Tat" sei, stelle sich mit der Frage nach der Möglichkeit eines gemeinsamen Gebets immer zugleich die Frage nach einem gemeinsamen Gott.
Der Bischof bejahte diese Frage: „Meine Überlegungen zur Barmherzigkeit als einer Eigenschaft bzw. als einer Handlungsweise Gottes lassen eigentlich keine andere Antwort zu als ein klares Ja: Wir beten zu demselben Gott. Aber wir tun es auf verschiedene Weise."
Die Frage nach dem gemeinsamen Gebet stelle sich mit Dringlichkeit im Bereich der Schule, aber ebenso bei vielen öffentlichen Anlässen, bei denen vermehrt jüdische und muslimische Menschen teilnähmen, und zunehmend auch im Bereich der Kasualien.
Gastfreundschaft auch in spiritueller Hinsicht leben
Das gemeinsame Gebet sei eine Form „spiritueller Gastfreundschaft". Gastfreundschaft sei in allen drei Religionen ein hohes Gut: „Höflichkeit, Takt, Entgegenkommen beider Seiten, Vermeidung von bekannten Konfliktthemen für einen klar definierten Zeitraum, Unterstellung von Friedfertigkeit und Wahrhaftigkeit sind ihre Elemente – und gemeinsames Essen und Trinken! Das Bemerkenswerte an der Gastfreundschaft ist, dass sie zeitlich begrenzt und situationsbezogen ist."
Aktuelle Formen „spiritueller Gastfreundschaft"
Spirituelle Gastfreundschaft werde derzeit nach drei Modellen praktiziert: Das erste Modell sei die „liturgische Gastfreundschaft", bei der Angehörige anderer Religionen am Gottesdienst der einladenden Religion teilnehmen. Das zweite Modell sei die „multireligiöse Feier". Sie gehe einen Schritt weiter, da alle Teilnehmenden sie gemeinsam gestalteten und in ihr zu Wort kämen. Die dritte Variante sei das „interreligiöse Gebet". Es basiere auf gemeinsam erarbeiteten Texten. Hier handele es sich noch um eine Grenzerfahrung, bislang zumeist in Katastrophen-fällen, in denen das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Nähe und gegenseitiger Unterstützung im Vordergrund stehe.
In Wahrhaftigkeit des eigenen Glaubens gemeinsam Gott feiern
Hein sprach sich für die Form der multireligiösen Feier aus: „So kann das gemeinsame, nach-einander stattfindende Gebet um Trost, Vergebung, Versöhnung und Frieden neben dem gemeinsamen Lob des Schöpfers, das allen drei Religionen gemeinsam ist, eine Praxis sein, gemeinsam Gott zu feiern und ihn so auch zu bezeugen." Bei diesen Begegnungen gehe es darum, „einander in der Wahrhaftigkeit des eigenen Glaubens den Wahrheitsanspruch der eigenen Religion zuzumuten." Der Bischof schloss mit den Worten: „So wird „spirituelle Gastfreundschaft" Wirklichkeit: Zuletzt ist es immer Gott, der uns einlädt, und sich uns allen, ob Christen, Juden oder Muslime, gerade darin als der barmherzige Gott zeigt."
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