Legale Fluchtwege
„Flüchtlinge brauchen legale Wege“
Diakonie Hessen/Klaus WagnerDiakonie Hessen Vorstandsvorsitzender Horst Rühl30.09.2016 mww Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Griechenland und Italien benötigen dringend Unterstützung bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen. Dort gestrandete Schutzsuchende brauchen legale Wege zur Weiterreise", sagt der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Horst Rühl, anlässlich des Tages des Flüchtlings am 30. September. Gemeinsam mit der Ezidischen Gemeinde Hessen macht Rühl insbesondere auf die Situation der ezidischen Flüchtlinge aufmerksam. „In Griechenland und Italien harren zurzeit viele Eziden aus, obwohl in Hessen ihre Angehörigen auf sie warten und sich um sie kümmern könnten", sagt Horst Rühl gemeinsam mit Dr. Irfan Ortac, dem Sprecher der Eziden in Hessen und Deutschland. „Die Situation könnte sich für alle entspannen, wenn wir die Familien unbürokratisch zusammenführten", so Rühl.
Rühl: Situation der Flüchtlinge in Griechenland unerträglich und menschenunwürdig
„Die im vergangenen Jahr angekündigte Entlastung von Griechenland und Italien durch die Umverteilung (Relocation) von Flüchtlingen in andere europäische Länder ist weitgehend ausgeblieben", sagt Rühl weiter. Von den 160.000 zugesagten Umverteilungsplätzen seien gerade mal 5.920 tatsächlich zur Verfügung gestellt worden. Deutschland hatte die Aufnahme von 27.500 Flüchtlingen zugesagt, bis zum 21. September aber gerade mal 215 aufgenommen. Rühl: „Deutschland ist ein großes und reiches Land und hat trotzdem bisher deutlich weniger Flüchtlinge über die Relocation aufgenommen als Finnland, Niederlande, Portugal und Spanien. Die Situation der in Griechenland gestrandeten und immer öfter inhaftierten Schutzsuchenden ist unerträglich und menschenunwürdig. Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen." Mittlerweile seien 57.000 Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern auf dem griechischen Festland, mehr als 13.000 harren unzureichend versorgt auf den kleinen griechischen Inseln aus.
Ortac: Ezidische Familien unbürokratisch zusammenkommen lassen
Die Situation der Ezidischen Flüchtlinge in den Lagern Griechenlands und Italiens sei kritisch. Irfan Ortac: „Die Eziden, die jetzt in Griechenland unter katastrophalen Umständen festsitzen, sind immer wieder Übergriffen ausgesetzt. In Deutschland lebende Angehörige müssen sie so schnell wie möglich zu sich holen dürfen. Sie sind die besten Integrationshelfer." Darüber hinaus appellierte er an die Bundes-und Landesregierungen, Bleibeperspektiven in ihren
Ursprungsländern zu schaffen und die ezidischen Gemeinden in Deutschland bei ihren Projekten zu unterstützen.
Aufnahmebereite Kommunen unterstützen
Auch in Italien eskaliere die Situation zusehends. Immer öfter würden Schutzsuchende inhaftiert. „Das italienische Aufnahmesystem ist kurz vor dem Kollaps. Wir begrüßen daher Initiativen, die sich dafür einsetzen, dass willige Kommunen Flüchtlinge direkt aufnehmen können und dabei von der EU finanziell unterstützt werden", sagen Rühl und Ortac gemeinsam. Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen und der Sprecher der Ezidischen Gemeinde merken an, dass es solche Kommunen durchaus europaweit gebe. „Wir hoffen, dass besonders die Kommunen in Hessen und Deutschland, wo bereits Communities und Familienangehörige leben, sich gemeinsam mit uns für legale Wege und die Familienzusammenführung innerhalb Europas stark machen. Der Untätigkeit von oben kann so die Solidarität von unten entgegen gesetzt werden", sind sich Rühl und Ortac einig und begrüßen daher zum Beispiel die Initiative von Gesine Schwan „Städte der Zuflucht" zu schaffen.
Zahlen und Fakten:
Relocation
Angesichts der Überlastung von Griechenland und Italien bei der Flüchtlingsaufnahme hatten die europäischen Mitgliedsstaaten am 22. September 2015 zugesagt, im Rahmen eines sogenannten Relocation-Programms innerhalb von zwei Jahren insgesamt 160.000 Schutzsuchende aus diesen Ländern aufzunehmen. Bis zum 21. September 2016 wurden allerdings lediglich 5.920 Menschen EU-intern umverteilt (4.134 aus Griechenland und 1.156 aus Italien), das sind gerade mal 3,3 Prozent der angekündigten Relocation-Plätze. Deutschland hatte zugesagt, 27.500 Plätze zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich wurden bis zum 21. September 2016 nur 215 Flüchtlinge aufgenommen. In Finnland waren es bis dahin 690, in den Niederlanden 674, in Portugal 534, in Spanien 273.
Situation in Griechenland
Seit dem Inkrafttreten des EU-Türkei Deals am 20. März 2016 wurden die Registrierungszentren auf den griechischen Inseln, die sogenannten Hotspots, de facto in Haftlager umgewandelt. Seitdem werden alle Schutzsuchenden, die in Griechenland anlanden – darunter größtenteils Frauen und Kinder – ausnahmslos inhaftiert. Die meisten von ihnen sitzen dort bis heute fest und warten auf den Abschluss ihrer Verfahren, in denen vorerst nur geklärt wird, ob sie in die Türkei abgeschoben werden oder nicht. Seit dem 20. März wurden dementsprechend kaum Asylanträge geprüft, weswegen auch keine Familienzusammenführungen mit Angehörigen in anderen EU Staaten oder eine Teilnahme am sogenannten Relocation-Programm der EU möglich sind.
Situation in Italien
Auch in Italien wurden durch die Einrichtung von sogenannten „Hotspots" Zonen des Elends geschaffen. Neu ankommende Flüchtlinge werden immer öfter inhaftiert und das italienische Aufnahmesystem ist am Kollabieren. „Italien ist aktuell nicht fähig, gleiche Standards für den Schutz der Menschenrechte im Aufnahmesystem für Migranten zu gewährleisten." (Pia Oberoi, Beraterin für Migrationsfragen im UN-Menschenrechtsbüro)
„Städte der Zuflucht"
Diese Idee haben vor allem Gesine Schwan und die portugiesische EU-Parlamentarierin Maria João Rodrigues ins Gespräch gebracht, um aus der verfahrenen Situation bei der Verteilung von Flüchtlingen herauszukommen. Das Prinzip: Statt der Verteilung von oben auf Mitgliedstaaten und letztlich Kommunen soll bei der Aufnahme die Nachfrage von unten ausschlaggebend werden. Der Plan richtet sich an Kommunen, die freiwillig Menschen aufnehmen wollen. Solche gibt es öfter als berichtet, vom niedersächsischen Goslar und dem brandenburgischen Cottbus, über Breslau, Valencia, Madrid und Zaragoza bis zu süditalienischen Dörfern wie Riace. Die Kommunen, die bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen, können sich um das benötigte Geld für die Unterbringung und Verpflegung bei der EU bewerben. Flüchtlinge und aufnehmende Kommunen sollen beide mitbestimmen können, wer wohin kommt.
Stichwort Diakonie Hessen
Die Diakonie Hessen –Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V. ist der soziale Dienst der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck. Als Landesverband unterstützt sie ihre über 430 Mitgliedseinrichtungen im gesamten Gebiet des Bundeslandes Hessen, in Teilen von Rheinland-Pfalz und im thüringischen Schmalkalden. 30 regionale Diakonische Werke bieten in den Regionen praktische Hilfe auf vielen Gebieten. Es gibt mehr als 1.300 Einrichtungen, Angebote und ambulante Dienste in der Kinder-, Jugend-und Familienhilfe, Alten-und Krankenpflege, Sucht-und Behindertenhilfe, Migrations-und Flüchtlingsarbeit sowie in der Beratung von Menschen mit sozialen Schwierigkeiten. Die Diakonie Hessen ist Träger des Evangelischen Fröbelseminars, das an den Standorten Kassel und Korbach sozialpädagogische Fachkräfte ausbildet, sowie der Evangelischen Freiwilligendienste.
Stichwort Ezidische Gemeinde
Die Eziden (auch Jesiden genannt) sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden mit weltweit etwa 1,5 Millionen Mitgliedern. Ihre Muttersprache ist das nordkurdische Kumaji. Ursprünglich kommen sie meist aus dem nördlichen Irak, aus Nordsyrien und der südöstlichen Türkei. Eziden werden seit Jahrtausenden sowohl religiös als auch –wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden -ethnisch verfolgt. Deshalb verheimlichen Eziden in ihren Heimatgebieten im Nahen Osten häufig ihre religiöse Identität. In Deutschland leben derzeit bis zu 80.000 Eziden.
Die Ezidische Gemeinde Hessen e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht den interkulturellen Dialog und die Partizipation der hier lebenden Eziden aktiv voranzutreiben, aber auch gleichermaßen ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu fördern. Um diese Aufgabe meistern zu können, spielen Vereine eine entscheidende Rolle, weil sie Menschen verschiedener Herkunft zusammenführen und ein Fundament des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft darstellen. Sie betreiben ehrenamtliche Vereinsarbeit und bieten Sport-und Freizeitaktivitäten, Kulturveranstaltungen sowie Frauen-und Jugendförderung an.
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