Diakonie Hessen
Demokratie und Menschenrechte müssen auch in der Migrationspolitik verteidigt werden!
Kai Fuchs„Anstatt positive Anreize zu setzen, atmet der Koalitionsvertrag fast ausschließlich den Geist von Desintegration und Restriktion“, kritisiert Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen.19.03.2024 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Anstatt positive Anreize zu setzen, atmet der Koalitionsvertrag fast ausschließlich den Geist von Desintegration und Restriktion“, so Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen: „An mehreren Stellen überschreitet er außerdem die Kompetenzen eines Bundeslandes und offenbart ein gefährliches Halbwissen der Verfasser*innen.“
Vorhaben der neuen hessischen Landesregierung sind in Teilen mit Verfassung und internationalem Recht unvereinbar
Zwar enthält der Koalitionsvertrag einige Formulierungen, mit denen sich die Parteien zum Asylrecht, zum Schutz von Menschen in Not und zur Integration von Geflüchteten bekennen. Diese werden jedoch konterkariert durch diametral entgegengesetzte Ankündigungen restriktiver und repressiver Maßnahmen. „In einer Zeit, in der Rechtsextremist*innen die Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte planen und das Grundgesetz aushöhlen wollen, sollten alle Demokrat*innen bei der Verteidigung unserer Verfassung und der menschenrechtlichen Errungenschaften in Deutschland und Europa zusammenstehen. Dieser Herausforderung wird der Koalitionsvertrag nicht gerecht“, so Dr. Yasmin Alinaghi, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Hessen.
Landesregierung ist bei einigen Vorhaben gar nicht zuständig
Angekündigt werden Regelungen zu EU-Außengrenzen, Asylrecht, Aufenthaltsgesetz, Sozialleistungen, unbegleitete Minderjährige oder Einbürgerungen, für die eine Landesregierung nicht zuständig ist. Dazu gehören u. a. die Ankündigungen, Geduldete pauschal von der Existenzsicherung nach den Analogleistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ausschließen zu wollen. „Geduldete Menschen in Hessen dauerhaft in den reduzierten Grundleistungen des AsylbLG halten zu wollen, die in Höhe und Umfang nicht dem Existenzminimum des Bürgergelds entsprechen, ignoriert nicht nur die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, sondern wäre schlicht illegal“, so Lea Rosenberg, Migrations- und Flüchtlingsreferentin des Paritätischen Hessen und eine der Verfasserinnen der Analyse.
Angriff auf den Jugendschutz und das Kindeswohl
Das gleiche gilt für die Äußerungen zum Umgang mit unbegleitet minderjährigen Flüchtlingen. Sie sollen in Unterkünften untergebracht werden können, die nicht den Jugendhilfestandards des Kinder- und Jugendhilfe-Gesetzes (SBG VIII) entsprechen, da die Landesregierung der Auffassung ist, dass nicht alle jungen Geflüchteten diese benötigen.
„Diese Planungen sind ein eindeutiger Angriff auf das Kindeswohl und die UN-Kinderrechtskonvention und wären illegal“, so Henning Wienefeld, Landeskoordinator des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) Hessen. „Es darf keinesfalls zu einer Zwei-Klassen-Jugendhilfe kommen, in der Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer Fluchtgeschichte und ihres Aufenthaltsstatus aus der Jugendhilfe aussortiert werden. Es gilt das Primat der Jugendhilfe und das verbietet eine Diskriminierung aufgrund der Fluchtgeschichte.“
Internationales Menschen- und Völkerrecht wird in Frage gestellt
Selbst vor dem internationalen Menschen- und Völkerrecht macht die Landesregierung nicht Halt. Im Koalitionsvertrag stellt sie sogar den Nichtzurückweisungs-Grundsatz, das sog. Refoulement-Verbot, in Frage. Danach darf keine Person in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihr eine Verletzung grundlegender Menschenrechte oder eine Kettenabschiebung dorthin droht. „Dieses Zurückweisungs-Verbot ist das Herzstück des internationalen Asylrechts. Es in Zweifel ziehen zu wollen, wäre schlicht ein verfassungs- und völkerrechtswidriges Ansinnen und führt uns unweigerlich zu der Frage: Will Hessen tatsächlich den Austritt aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Union betreiben?“, so Lea Rosenberg.
Auch liegt dem Koalitionsvertrag der Irrtum zugrunde, das Aufenthaltsgesetz sehe die Ausreise von abgelehnten Asylsuchenden zwingend vor. Durch diese systematische Fehleinschätzung drohen in Hessen relevante Teile des bundesdeutschen Aufenthaltsgesetzes ins Leere zu laufen, das eine Vielzahl von Bleiberechtsregelungen unter anderem für erwerbstätige Menschen vorsieht. Aus demografischen und wirtschaftlichen Gründen ist es zwingend geboten, diese zu nutzen.
Fachkräfte und Geflüchtete werden in den Plänen von CDU und SPD gegeneinander ausgespielt, dabei hat Hessen einen massiven Bedarf an Zuwanderung und muss alle inländischen Potenziale zur Linderung des Arbeits- und Fachkräftemangels nutzen.
Statt der im Koalitionsvertrag mehrfach proklamierten Rückführungsoffensive braucht es eine Integrationsoffensive. Sonst kann und wird Integration nicht gelingen – für niemanden in Hessen.
Die „kritische Begleitanalyse des Kapitels 4 Migration und Integration des hessischen Koalitionsvertrags“ ist hier in der Langfassung und hier in der Kurzfassung abrufbar.
HINTERGRUND
Diakonie Hessen –
Werk der Kirche, Mitgliederverband und Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege
Die Diakonie Hessen ist als Werk der Kirche Mitglieder- und Spitzenverband für das evangelische Sozial- und Gesundheitswesen auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). In den Geschäftsstellen in Frankfurt am Main und Kassel, dem Evangelischen Fröbelseminar, sowie den Evangelischen Freiwilligendiensten arbeiten über 300 Mitarbeitende. Dazu kommen circa 520 Freiwillige, die sich in den verschiedenen Programmen des freiwilligen Engagements einbringen. Der Diakonie Hessen gehören 440 Mitglieder an. Insgesamt sind bei der Diakonie Hessen und ihren Mitgliedern rund 42.000 Mitarbeitende beschäftigt, die im Geschäftsjahr 2021 einen Gesamtumsatz von über 2,4 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Dem Vorstand des Landesverbandes gehören Pfarrer Carsten Tag (Vorstandsvorsitzender) und Dr. Harald Clausen an. (Weitere Infos)
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