Geordnete-Rückkehr-Gesetz
Diakonie Hessen fordert Schutz für Grundrechte und Achtung der Menschenwürde
Medienhaus EKHN16.05.2019 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von einer mangelnden Durchsetzung der Ausreisepflicht, wie immer wieder behauptet werde, gegenüber abgelehnten Asylsuchenden könne angesichts der aktuellen Zahlen keine Rede sein, so Lipsch. „Statt Menschen zu entrechten und zivilgesellschaftliches Engagement zu kriminalisieren, ist es höchste Zeit, zu einer sachlichen und an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitik zurückzufinden.“ Die Einführung des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ käme einem buchstäblichen Aushungern der Schutzbedürftigen, darunter auch Kinder, gleich. „Es ist zutiefst bedenklich, dass ausgerechnet im Jahr des 70. Jubiläums des Grundgesetzes gesetzliche Maßnahmen vorgeschlagen werden, die gegen das Menschenwürdegebot des Grundgesetzes, gegen EU-Recht, die Europäische Sozialcharta und das Völkerrecht verstoßen“, betont Lipsch.
Offener Brief im Wortlaut:
An die Bundestagsabgeordneten aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen
Betreff: Entwurf für ein zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht – „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
in diesen Wochen beraten Sie im Bundestag den Entwurf eines sogenannten „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“. Viele Stellungnahmen dazu sind bereits, auch von unserem Bundesverband Diakonie Deutschland, vorgelegt worden, die Sie sicher in den Beratungen berücksichtigen werden. In der öffentlichen Debatte um Rückkehr wird zunehmend der Eindruck erweckt, als wäre der Rechtsstaat in Deutschland durch nicht vollzogene Ausreisepflicht bedroht. Dies halten wir aufgrund der tatsächlichen Zahlen nicht für gerechtfertigt. Schon gar nicht darf mit solch einem Argument ein Eingriff in die Grundrechte von Menschen legitimiert werden. Abschiebungen und Rückkehrpolitik sind schwierige Politikfelder, denn hier wird vielfach über die Zukunft und das Leben von Menschen entschieden. Daher möchten wir Sie ersuchen, die Artikel in diesem Gesetz sorgfältig zu prüfen und wo nötig zu ändern.
Folgende Punkte möchten wir unterstreichen:
· Sachlich richtige Darstellungen, keine Übertreibungen
Das Ziel des Gesetzes - sicherzustellen, dass ausreisepflichtige Personen auch tatsächlich ausreisen -, wird mit unvollständigen Daten begründet: Das Bundesinnenministerium nennt eine Zahl von 235.957 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, um die Notwendigkeit von erleichterten Abschiebungen zu rechtfertigen. Diejenigen, deren Abschiebung aufgrund einer Duldung aus gesetzlich vorgesehenen Gründen vorübergehend ausgesetzt ist, werden nicht berücksichtigt. Dabei waren laut Ausländerzentralregister 2018 180.124 Menschen geduldet und daher aus legitimen Gründen in Deutschland. Darunter befinden sich Flüchtlinge aus Afghanistan, unbegleitete Minderjährige, Personen, die aufgrund eines Abschiebestopps nicht abgeschoben werden, Eltern aufenthaltsberechtigter Minderjähriger sowie für den Zeitraum der Ausbildung geduldete junge Menschen.
Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass nur 131.995 Personen der 235.957 als ausreisepflichtig gespeicherten Personen überhaupt einen Asylantrag gestellt haben. Es handelt sich bei den Ausreisepflichtigen daher nur zu etwas mehr als der Hälfte (ca. 56%) um abgelehnte Schutzsuchende. Die anderen sind Personen, die beispielsweise ihr Arbeits-, Studenten- oder Touristenvisum überzogen haben. Angesichts von zwei Millionen Asylentscheidungen im Zeitraum 2014 bis 2018 leben noch ca. 108.000 abgelehnte Asylsuchende in Deutschland, die ausreisepflichtig sind. Dies entspricht einer Quote von 6%. Von einer mangelnden Durchsetzung der Ausreisepflicht gegenüber abgelehnten Asylsuchenden kann also keine Rede sein.
· Aufenthaltsstatus statt Ausweitung von Duldungen
Die Diakonie kritisiert die Schaffung eines weiteren Duldungsstatus, der den Zugang zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung, zur Ausbildungsförderung und zum Bleiberecht zusätzlich erschwert. Aus diakonischer Beratungspraxis ist bekannt, dass der Duldungsstatus vieler Personen sich aus mehreren Gründen herleitet. Die Annahme, dass Personen mit einer Duldung nach § 60b AufenthG-E ausreisen oder abgeschoben werden könnten, wenn die Passbeschaffung erfolgt ist, ist daher nicht zutreffend. Viele werden bleiben, ihre Integration wird jedoch behindert. Bereits der Status der Duldung als Aussetzung der Abschiebung führt bei den Betroffenen aufgrund der Unsicherheit ihres Aufenthalts zu Frustration und Perspektivlosigkeit. Anstatt Menschen weitere Rechte zu entziehen und durch Arbeitsverbote zum jahrelangen Nichtstun zu verurteilen, sollten vielmehr jene, deren Abschiebung insbesondere rechtliche Abschiebehindernisse entgegenstehen, oder deren Aufenthalt zum Beispiel im Falle von Ausbildung und Beschäftigung durch Aussetzung der Abschiebung legitimiert wird, durch einen Aufenthaltstitel legalisiert werden.
· Kein „Aushungern“ von „Dublinern“ und international Schutzberechtigten
Obwohl Änderungen im Asylbewerber-Leistungsgesetz nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich wären, werden im vorliegenden Entwurf massive Kürzungen der Sozialleistungen für Personen mit „Dublin-Bescheid“ vorgesehen (§ 1a Abs. 7 AsylbLG-E.) Das Bargeld soll ihnen bereits während der gerichtlichen Überprüfung des BAMF-Bescheides gestrichen werden. Die Betroffenen werden folglich keine Möglichkeit mehr haben, eine Anwältin oder einen Anwalt zu bezahlen. Die geplante Änderung des AsylbLG ist somit ein Angriff auf ein zentrales Prinzip des Rechtsstaats: Sie wird für die Betroffenen den Zugang zu rechtlicher Vertretung und effektivem Rechtsschutz unmöglich machen. Der Gesetzentwurf sieht überdies vor, einer Gruppe von Asylsuchenden die Sozialleistungen - einschließlich Unterkunft und Verpflegung - komplett zu streichen: Geflüchtete, die in der EU bereits über einen Schutzstatus verfügen, sollen noch maximal zwei Wochen lang „Überbrückungsleistungen“ erhalten und dann auf die Straße gesetzt werden (§ 1a Abs. 4 S. 3 AsylbLG-E). Dieser vollständige Leistungsausschluss soll auch für Familien gelten, für kranke und besonders schutzbedürftige Personen wie etwa Opfer von Menschenhandel. Bei Kindern bedeutet er eine inakzeptable Sippenhaftung: Während die übrigen Sanktionen des AsylbLG i.d.R. nur für Personen gelten, denen ein persönliches „Fehlverhalten“ vorgeworfen wird, sind hier auch Kinder eingeschlossen. Sie sollen mit einer Sanktion belegt werden, die ihre Existenz bedroht und der sie nicht entgehen können. Diese Politik des Aushungerns, insbesondere der Kinder, wird einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, sie verstößt gegen das Menschenwürdegebot des Grundgesetzes, gegen EU-Recht, die Europäische Sozial-Charta und Völkerrecht. Wir bitten Sie dringend, diese geplanten Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz zu verhindern.
· Alternativen zur Haft statt Ausweitung der Abschiebungshaft
In dem neuen § 62 Abs. 3 und 3a AufenthG-E wird eine Inhaftierung erleichtert, sogar die Beweislast bezüglich Fluchtgefahr auf die Personen übertragen, die vermeintlich oder tatsächlich nicht an ihrer Identitätsklärung mitwirken. Allein die Nichtvorlage des Passes würde für eine Inhaftierung genügen. Freiheitsentzug als stärkster Eingriff in die Rechte eines Menschen darf nur als ultima ratio zum Einsatz kommen.
Die zusätzlich vorgesehene Beugehaft (Abs. 6), mit der die Kooperationsbereitschaft gefördert werden soll, ohne dass eine konkrete Abschiebung bevorsteht, steht im Widerspruch zu europarechtlichen Regeln. Abschiebungshaft darf nicht in Strafhaftanstalten durchgeführt werden, diese europarechtliche Regelung muss eingehalten werden. In den vergangenen Jahren wurden in verschiedenen Ländern Alternativen zur Abschiebungshaft entwickelt, die Pilotprojekte wurden positiv bewertet. Beim Europarat in Straßburg werden solche Alternativen zur Abschiebungshaft verhandelt. Wir bitten Sie dringend, mit den Abgeordneten des Bundestages, die in den Europaratsgremien vertreten sind, darüber ins Gespräch zu kommen.
Für Gespräche über Einzelregelungen stehen wir gern zur Verfügung.
Wir meinen, dass die zunehmende Kriminalisierung von zivilgesellschaftlichem Engagement beendet werden muss, und stattdessen sachorientierte und menschenrechtlich basierte Regeln gefunden werden müssen. Dies, davon sind wir überzeugt, würde das gesellschaftliche Miteinander und die Integration der Gesellschaft fördern.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Andreas Lipsch, Pfarrer
Leiter der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
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