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Interview

Ehrenamtliche Unterstützerkreise gegründet

privatMartin Willert (li.) und Axel Seipel engagieren sich für Geflüchtete aus der Ukraine.

Martin Willert und Axel Seipel engagieren sich in Dieburg und Groß-Umstadt für Geflüchtete aus der Ukraine. Sie berichten, wie sie vorgehen und worauf es am meisten ankommt. Ohne ehrenamtliche Hilfe geht nichts. Weitere Helfer*innen werden gebraucht.

Kurz nach der Invasion der russischen Truppen in der Ukraine haben sich in Dieburg und Groß-Umstadt ehrenamtliche Unterstützerkreise für Geflüchtete gebildet. In Dieburg arbeiten evangelische und katholische Kirchengemeinden und kommunale Gemeinde Hand in Hand. Für die Begleitung der Geflüchteten ist der Kirchenvorstandsvorsitzende Martin Willert der Ansprechpartner. In Groß-Umstadt hat der Runde Tisch Asyl seine Arbeit wieder aufgenommen. Hier engagiert sich Axel Seipel, der auch im Kirchenvorstand ist.

Sie sind gerade dabei, ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen in Dieburg bzw. Groß-Umstadt aufzubauen, um die Geflüchteten aus der Ukraine zu unterstützen. Worauf kommt es derzeit am meisten an?

Martin Willert: Zunächst haben wir in Dieburg das große Glück, dass der Bürgermeister die Organisationen in einem  wöchentlichen runden Tisch koordiniert, die ihren Teil zur Hilfe für aus der Ukraine Geflüchtete beitragen wollen. Dadurch, aber auch durch die damit verbundene Pressearbeit, sind die Menschen in Dieburg sehr aufmerksam diesem Thema gegenüber. Außerdem ist für Samstag (19. März) das erste Vernetzungstreffen angesetzt, wo Helfer und Geflüchtete zusammenkommen werden. Wichtig ist es daher, eine breite Öffentlichkeit und damit ein Klima des „Helfen wollen“ zu schaffen. Nur so bekommen wir es hin, genügend „Paten“ zu finden, die bereit sind, die Flüchtlinge persönlich zu betreuen – das ist eine zeitaufwändige Tätigkeit, die einen Menschen mit allen seinen Fähigkeiten fordert.

Axel Seipel: Nach unserem Aufruf haben sich sehr viele hilfsbereite Menschen aus Groß-Umstadt gemeldet. Wichtig ist jetzt, dass wir die angebotene Hilfe so koordinieren, dass wir den Menschen aus der Ukraine bestmöglich helfen können. Wir haben dafür ein Kernteam und einzelne Gruppen gebildet, so dass wir immer ein bis zwei feste Ansprechpartner für ein Thema haben, die sich dann wieder ein Team zusammenstellen und gezielt in ihrem Bereich helfen. Aktuell brauchen wir weitere Angebote für Wohnräume. Im Nachgang müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen so schnell wie möglich integriert werden. Hier arbeiten wir in viele Richtungen. Wir haben dafür gesorgt, dass wir aktuell ein warmes Mittagessen anbieten können und sich die Leute dort treffen und austauschen können. Das wollen und müssen wir weiter ausbauen.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Martin Willert: Begeistert hat mich die zupackende Art unseres Bürgermeisters Frank Haus und die Verteilung der verschiedenen Funktionen der „Ukrainehilfe Dieburg“ wie z.B. die Wohnungsverteilung, die Spendensammlungen und Auszahlung der Unterstützungen, die Sammlung und Verteilung von Hilfsgütern auf verschiedene Schultern sowie vor allen Dingen die große Hilfsbereitschaft in der Stadt und der Gemeinde. Außerdem bot sich hier die Gelegenheit, endlich einmal die Ökumene in Dieburg zu leben – zwischen katholischer und evangelischer Gemeinde – und die Hilfsaktionen gemeinsam anzugehen. In der Anfangsphase, als die Wohnungsverteilung durch die Stadt noch nicht funktionierte, übernahm ich eine Flüchtlingsfamilie, die in Roßdorf  bei einer sehr offenen und liebenswürdigen Gastfamilie untergebracht werden konnte – die ankommenden Menschen waren zunächst völlig übermüdet und dankbar, ein Dach über dem Kopf zu haben. Bereits in den nächsten Tagen zeigten sie jedoch, dass sie bei aller Hilfsbereitschaft auch selbstständig sein wollten – sowohl finanziell, soweit es geht, als auch in Bezug auf die Erkundung des Umfeldes.  Der siebenjährige Junge wird demnächst die Schule besuchen, der 17-jährige Teenager möchte gerne in Darmstadt Informatik studieren. Insgesamt herrscht bei den Flüchtlingen der Wunsch vor, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukommen – durchdrungen von dem unterschwelligen Gedanken, dass man sich wohl doch auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland einstellen muss und dann das Beste daraus machen will.

Axel Seipel: Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir ohne die ehrenamtliche Hilfe aus der Bevölkerung diese Herausforderung für unsere Stadt nicht bewerkstelligen können. Die Hilfsbereitschaft ist jedoch sehr groß und unzählige Leute wollen helfen, spenden und sich einbringen. Ich habe so viele nette und hilfsbereite Menschen aus Groß-Umstadt in kurzer Zeit kennengelernt. Ich bin teilweise wirklich sprachlos, wie groß die Hilfsbereitschaft ist.

Die Wenigsten von uns können ja Ukrainisch oder Russisch. Wie geht man am besten mit den Sprachbarrieren um?

Martin Willert: Gerade die jungen und mittelalten Ukrainer können gut Englisch, die älteren oft Deutsch. Im Zweifel gibt es hier auch Freunde oder bereits vorher angekommene Flüchtlinge, die bereitwillig dolmetschen.

Axel Seipel: Wir haben von Anfang an Leute gesucht, die Russisch/Ukrainisch sprechen können. Wir haben eine Dolmetscher*innen-Gruppe mit mittlerweile zehn Mitgliedern. So können wir schnell und gezielt dort helfen und unterstützen, wo es Sprachbarrieren gibt. Vor allem das Erklären der behördlichen Vorgaben braucht viel Zeit und Unterstützung. Gleichzeitig haben wir für die Ukrainer*innen eine interne Gruppe eingerichtet, in der wir in ihrer Sprache über Neuigkeiten informieren, wo sie Fahrdienste anfordern können und Fragen stellen können. Natürlich gibt es auch Apps für Handys, die uns bei der alltäglichen Kommunikation behilflich sind. Wir haben das Anmeldeformular vom Landkreis aufbereitet und auf Russisch übersetzt. Wir haben eine Liste von alltäglichen Begriffen, wie z.B. Shampoo, Zahnbürste, Kleidung usw. zusammengestellt und übersetzt, so können die Ukrainer*innen sich besser orientieren und wissen auch was sie z.B. im Supermarkt kaufen oder in der Kleiderkammer bekommen.  

Die Landkreise haben dazu aufgerufen, Wohnungen und andere Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Wie sieht es da aus Ihrer Sicht aus? Klappt das gut?

Martin Willert: Am 5. März standen aufgrund des ersten Hilfeaufrufes der Stadt im Dieburger Anzeiger bereits rund 20 Wohnungen zur Verfügung, mittlerweile sind es ungefähr doppelt so viele – keiner schläft im Zelt! Auch kommt dazu, dass sich die Stadt Dieburg mit einem Mitarbeiter als zentralem Anlaufpunkt für Wohnungsgebende und Wohnungssuchende etabliert hat – ein ganz wichtiger Punkt!

Axel Seipel: Unsere Idee und unsere Homepage www.umstadthilft.de ist aus dem Grund entstanden, dass für uns nicht ersichtlich war, wo Geflüchtete Unterkünfte bekommen können. Wir haben über unseren privaten Aufruf mittlerweile über 60 Betten akquirieren können und haben auch schon 30 davon vermittelt. Wir erhalten aus allen Richtungen Hilferufe, wo dringend Wohnraum benötigt wird. Ich kann nicht beurteilen, ob der Landkreis oder die Stadt hier ebenfalls bereits Wohnraum vermittelt hat. Wir haben einfach unbürokratisch und schnell geholfen. Das kostet Zeit und manchmal auch wirklich Nerven, aber am Ende wird man mit einem wunderbaren Gefühl erfüllt, wenn man einem oder mehreren Menschen in der Not helfen konnte. Und das ist ja das, was uns Jesus Christus gelehrt hat. Jetzt können wir beweisen, was gelebte Nächstenliebe bedeutet.

Werden weitere Räumlichkeiten benötigt – zum Beispiel für Hausaufgabenhilfe, als Treffpunkte oder als Lagerorte für Sachspenden, etc.?

Martin Willert: Viel spielt sich mit den Paten und den Flüchtlingen in deren Wohnungen ab – als Treffpunkt versuchen wir gerade, das katholische Gemeindezentrum St. Wolfgang zu etablieren. Als Lagerort für Sachspenden wird zurzeit die Goetheschule aufgrund einer Initiative ihres Schulleiters genutzt.

Axel Seipel: Wir brauchen dringend einen größeren Raum für Sachspenden. Aktuell sammeln wir in Groß-Umstadt im Porto-Club. Hier haben wir Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen und haben gesehen, dass der Platz nicht ausreicht, und das, obwohl wir noch nicht mal zum Spenden aufgerufen hatten. Wir brauchen Räumlichkeiten für Begegnungen, für Hausaufgabenhilfe, für Treffpunkte und wo wir die Menschen verpflegen können. Auch für Deutschkurse brauchen wir Räume. Wir möchten auch Lebensmittelspenden sammeln, hierfür würden wir auch Räumlichkeiten benötigen. Um gezielt helfen zu können, brauchen wir auch Geldspenden. Hierfür können wir auf die Umstädter Bürgerstiftung zurückgreifen. Dort können Geldspenden gesammelt und dann gezielt ausgegeben werden.

Was ist noch unbedingt nötig?

Martin Willert: Mehr Paten, die über gute Englischkenntnisse verfügen und bereit sind, Freizeit und Herzblut zu geben sowie vor Behördenkontakten in jeder Form nicht zurückschrecken.

Axel Seipel: Wir möchten, dass die Menschen mobil bleiben. Es ist schön, dass sie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können, jedoch brauchen wir auch individuelle Fahrdienste. Aktuell können wir auf den Bürgerbus, den Bus der Evangelischen Kirchengemeinde Groß-Umstadt und einen Bus vom Autohaus Schütz zurückgreifen. Wichtig wäre außerdem, dass die Anmeldeprozesse bei den Behörden so einfach und unkompliziert wie möglich durchgeführt werden.

Wie klappt die Vernetzung landkreisweit?

Martin Willert: Da habe ich im Moment keinen Überblick.

Axel Seipel: Hierzu haben wir leider bislang keine Erfahrungen. Die Aufgaben in unserem Stadtgebiet waren und sind so umfangreich, dass wir gar nicht dazu gekommen sind uns umzuschauen.

Gibt es Handreichungen?

Martin Willert: Die Stadt Dieburg hat auf ihrer Website entsprechende Handlungsempfehlungen, Checklisten etc. veröffentlicht. Auch auf Ukrainisch.

Axel Seipel: Wir haben ein Infoblatt für den Anmeldeprozess (übersetzt in Russisch) entworfen. Leider mussten wir dieses Formular zum dritten Mal ändern, weil es regelmäßig neue Infos darüber gibt. Wir geben den Wohnungsgeber das benötigte Formular für die Anmeldung im Umstadt-Büro an die Hand.

Welche Tipps können Sie denjenigen geben, die auch einen Unterstützer*innen-Kreis aufbauen wollen?

Martin Willert: Zusammen mit anderen geht es am besten, wirklich am besten mit einer zentralen Koordinierung aller benötigten Hilfsaktivitäten. Jeder sollte dabei das beitragen, was er am besten und sichersten leisten kann. Publicity hilft ungemein, Freundlichkeit und Herzlichkeit noch viel mehr. Haben alle den Willen, wirklich direkt den Flüchtlingen als Menschen zu helfen, klappt es! Ach ja, natürlich auch mit Gottes Hilfe und einem Friedensgebet, was wir nie vergessen sollten!

Axel Seipel: Jede Hilfe zählt. Jeder kann helfen und kann seine Stärken einbringen. Lieber fehlerhaft begonnen als weltmeisterlich gezögert.

Die Fragen stellte Silke Rummel, Öffentlichkeitsarbeit Evangelisches Dekanat Vorderer Odenwald.

Weitere Informationen finden Sie hier:
Hilfe für die Ukraine

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