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Krise in der Ukraine

Evangelische Gemeinde mitten im Krisenherd auf der Krim

istockphoto/PepeMonteiroWann reichen sich die Konfliktparteien die Hand zum Frieden?

Markus Göring ist im Odenwald aufgewachsen, jetzt ist er Pfarrer in Simferopol, mitten im Krisenherd auf der Krim in der Ukraine. EKHN-Reporter Patrick Wurmbach hat ihn nach seinen Eindrücken befragt.

Der russische Präsident Vladimir Putin möchte nun doch nicht militärisch auf der Krim aktiv werden. Entspannt sich Ihrer Meinung nach die Lage vor Ort?

Auf den Straßen und in der Innenstadt entspannt sich die Lage. Seit Samstag sind dort die Truppen abgezogen. Die neue Krim-Regierung bemüht sich Sicherheit auszustrahlen, aber das Gefühl der Sicherheit springt nicht auf die Bevölkerung über. In der Stadt versammeln sich also keine Massen, sondern höchstens ein paar ältere Leute, die russische Fahnen schwenken. Im Stadtzentrum ist also nichts zu sehen.

Wie wirkt sich der Konflikt derzeit auf die Menschen in Ihrer Gemeinde und auf Sie persönlich aus?

Bislang ist die Lage überschaubar. Die Geschäfte haben geöffnet, es gibt alles zu kaufen. Die Menschen haben aber trotzdem Angst, auch wenn nicht unmittelbar auf sie geschossen wird. Das liegt vor allem daran, dass es sich zu einem so großen politischen Konflikt entwickelt hat durch die ganze Rhetorik und die Tausenden von Soldaten, die aufgefahren sind. Man hofft, dass einfach wieder Ruhe einkehrt.

Beten Sie in der derzeitigen Lage verstärkt mit den Gemeindemitgliedern für Frieden?

Wir beten immer für Frieden und rufen zu Gerechtigkeit auf. Allerdings werden keine spontanen Gottesdienste in der Woche angeboten. Das liegt daran, dass die Gemeindemitglieder sehr häufig weite Wege zur Gemeinde haben und daher nicht mal eben kommen können. Daher wird dann der Sonntagsgottesdienst in der Regel noch um ein zusätzliches Gebet ergänzt.

Welche Menschen trifft man bei Ihnen in der Gemeinde an?

Die Tradition unserer Kirchengemeinde geht auf die Schwarzmeerdeutschen und Krimdeutschen unter Katharina der Großen zurück. Im 18. und 19. Jahrhundert sind viele Siedlungen und Dörfer auf der Krim entstanden. Später hat die Zaren-Regierung auch viele Beamte aus Preußen angeworben. Darunter auch einige aus der Gegend rund um Büdingen in Hessen. Diese Tradition endete, als es Anfang der 1920er Jahre unter Stalin massive Religionsverfolgungen gab und das offizielle kirchliche Leben ausgelöscht wurde. Es wurden damals die übrig gebliebenen Pfarrer in Lager deportiert, die Kirchengebäude wurden beschlagnahmt und die Religionen absolut in das Private verdrängt. 1941 erfolgte - bevor die Deutsche Wehrmacht anrückte - die Deportation der Krimdeutschen nach Sibirien und  Kasachstan. Von diesen Menschen sind wieder einzelne zurückgekehrt und konnten 1991 nach der politischen Wende im Ostblock die Gemeinden wieder neu gründen. Heute treffen Sie Menschen in den Gemeinden an, die in den 90er Jahren nicht nach Deutschland zurück ausgewandert sind und hier noch viele soziale Bindungen haben.

Wie verhalten sich die Mitglieder in der evangelischen Gemeinde zu diesem Konflikt?

Wie sich die Leute in Bezug auf den derzeitigen Konflikt verhalten, ist in den Gemeinden unterschiedlich. So hat die evangelische Gemeinde in Kiew die Majdan-Bewegung sehr unterstützt. Auf der Krim höre ich hingegen Stimmen, die das kritisch sehen. Manche äußern recht offen diese diese russische Propaganda. Die evangelischen Gemeindemitglieder unterscheiden sich so gesehen also in ihrem Meinungsbild nicht so sehr von der Normalbevölkerung. Aber selbst in den einzelnen Gemeinden in der Krim ist die Haltung zum Konflikt von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Ich persönlich versuche mich daher neutral in Bezug auf diesen Konflikt zu verhalten, da es für viele hier ein sehr emotionales Thema ist.

Wie nehmen die Menschen auf der Krim, mit denen Sie gesprochen haben, die Konflikte wahr?

Die Leute auf der Krim, mit denen ich gesprochen habe, sehen die Majdan-Bewegung überwiegend skeptisch. Das liegt daran, dass hier noch mehr Russisch gesprochen wird als im Osten der Ukraine. Es ist zudem tatsächlich so, dass es unhöflich ist, Ukrainisch auf der Krim zu sprechen. Ukrainisch wird hier als Sprache der Macht empfunden, da fast die ganze Kommunikation mit den Behörden auf Ukrainisch getätigt wird. Zudem haben die Menschen auf der Krim viele Verwandte in Russland und sind deshalb an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert. Und aus genau diesem Grund sehen sie die Proteste auf dem Majdan-Platz sowie die neue Regierung sehr kritisch, weil es für sie so aussieht, dass die neue prowestliche Regierung das Verhältnis der Ukraine zu Russland belasten wird. Was noch hinzukommt ist, dass viele Menschen auf der Krim direkt russisches Fernsehen schauen und damit auch die politische Wertung des Konfliktes aus russischer Sicht in das Bewusstsein der Bevölkerung gelangt. Die Bevölkerung ist hier anders als Kiew eher zurückhaltend und hofft, dass hier alle in Frieden zusammenleben können.

Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach der Konflikt auf der Krim gegenüber dem auf dem Majdan-Platz?

In Kiew war die Situation monatelang so, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung gegen die jetzt abgesetzte Regierung auf dem Majdan-Platz demonstriert hat. Es ging in Kiew tatsächlich darum, eine neue Regierung zu bekommen. Auf der Krim gingen der ganzen Sache keine großen Demonstrationen voraus, sondern es sind sofort bewaffnete Gruppen im Zentrum aufgezogen. Die kleine Partei "Russische Freiheit", die für die Abspaltung der Krim von der Ukraine eintritt, will jetzt die Richtung in der Region vorgeben. Deren Sprecher Sergej Aksjonow ist nun zum Ministerpräsidenten ausgerufen worden. Und diese extreme Gruppe, die im Krim-Parlament drei von 100 Sitzen hatte, versucht nun, die breite Masse mit sich mitzuziehen.

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