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Erklärung

Für eine humane Flüchtlingspolitik ohne Rassismus!

bowie15/Istock

In einer gemeinsamen Erklärung mahnen 14 rheinland-pfälzische Einrichtungen an: Alle Schutzsuchenden haben das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung. Mit Sorge beobachten die Unterzeichner:innen, die aktuelle und zunehmende Ungleichbehandlung geflüchteter Menschen in Deutschland und appellieren an Bund und Länder, alle Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, um eine weitgehende Gleichbehandlung aller Menschen mit Fluchtgeschichte zu gewährleisten.

Sie begrüßen die großzügige Aufnahme und die unbürokratische Gewährung integrationsfördernder Rechte im Hinblick auf ukrainische Geflüchtete. Zugleich mahnen sie dringend ebenso menschenrechtsorientierte Rahmenbedingungen für den Aufenthalt anderer Geflüchteter in Deutschland an. Sie erwarten von der Bundesregierung, diejenigen Maßnahmen im Koalitionsvertrag zeitnah umzusetzen, die der Ungleichbehandlung von Geflüchteten entgegenwirken würden. Gleichzeitig appellieren sie an die Landesregierung, schon jetzt alle ihre Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen, um eine weitgehende Gleichbehandlung aller Menschen mit Fluchtgeschichte zu gewährleisten.

Deutschland im Frühjahr 2022: Offene Grenzen, Übergangsregelungen, um einen rechtmäßigen Aufenthalt zu ermöglichen, freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der EU und Deutschlands, Unterbringung in Wohnungen statt in Sammellagern, Aufenthaltserlaubnisse ohne lange Asylverfahren, unmittelbarer Zugang zu Integrationskursen, zum Arbeitsmarkt und zum Studium - so reagieren Deutschland und die Europäische Union auf die Not der Ukrainer*innen, die wegen des russischen Angriffskriegs gegen ihr Land zur Flucht gezwungen werden.

Es könnte der Anfang eines Deutschlands, eines Europas sein, das sich die Wahrung der Menschenrechte von Schutzsuchenden nicht nur auf die Fahnen schreibt, sondern dieses Versprechen auch im tagtäglichen Umgang mit ihnen ernst nimmt und einlöst … wenn es denn für alle Geflüchteten gelten würde.

Stattdessen müssen wir eine immer stärkere Ungleichbehandlung zwischen den „einen“ und den „anderen“ Geflüchteten erkennen. Die „einen“, das sind aus der Ukraine geflüchtete ukrainische Staatsangehörige; die „anderen“, das sind Menschen, die aus anderen Regionen dieser Erde in Deutschland Schutz vor Krieg und Gewalt suchen und diejenigen Ukraine-Flüchtlinge, die eine andere als die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen oder der Rom*nja-Minderheit angehören.

Während für die „einen“ - so wie es für alle Menschen auf der Flucht selbstverständlich sein sollte - Grenzen und Türen geöffnet werden, bekommen die „anderen“ weiterhin die volle Härte der deutschen und europäischen Abschreckungs- und Abschottungspolitik zu spüren.

Während die „einen“ mit Bussen an der Grenze abgeholt werden und kostenlos in Europa Bahn fahren dürfen, müssen die „anderen“ mangels sicherer und legaler Fluchtwege weiter in Lebensgefahr oder Hungersnot ausharren und ihr Leben bei der Überfahrt über das Mittelmeer oder in den weitläufigen Wäldern Belarus riskieren.

Während die „einen“ größtenteils direkt in privaten Unterkünften untergebracht werden, müssen die „anderen“ monate- oder jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen in Elendslagern an den EU-Außengrenzen oder - im besseren Fall - in Sammellagern in Deutschland ausharren, weil sie restriktiven gesetzlichen Regelungen unterliegen oder auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben.

Während die „einen“ bei Ausländerbehörden schnell einen Termin bekommen und schon mit Erteilung der sogenannten Fiktionsbescheinigung uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Gesundheitssystem haben, warten die „anderen“ oft monatelang auf eine Vorsprachemöglichkeit, müssen sie sich trotz mangelnder Rückkehrmöglichkeit über Jahre von Duldung zu Duldung hangeln und haben sie mit integrationsverhindernden Arbeitsverboten zu kämpfen.

Während die „einen“ auch ohne Schulabschluss Zugang zu deutschen Hochschulen bekommen, müssen die „anderen“ eine Hürde nach der anderen nehmen, um ihren Schulabschluss in Deutschland anerkannt zu bekommen und C1-Deutschkenntnisse erwerben zu können.

Dass auch unter denjenigen, die aus der Ukraine zu uns fliehen mussten, zwischen den „einen“ und den „anderen“ unterschieden wird, macht deutlich, dass es bei diesen Ungleichbehandlungen vorwiegend nicht um Fluchtgründe geht, sondern vielfach um Rassismus. Denn die „einen“, das sind weiße ukrainische Staatsangehörige; die „anderen“, das sind People of Color.

Diese Ungleichbehandlungen müssen ein Ende haben! Die positiven Ansätze und Erfahrungen bei der Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten müssen genutzt werden, um die Zugangsmöglichkeiten nach und die Lebenssituation in Deutschland und Europa für alle Geflüchteten zu verbessern.

Denn im Rahmen einer wirklich humanen Flüchtlingspolitik darf es nicht die „einen“ und die „anderen“ geben. Alle müssen den Schutz erhalten und die menschenwürdige Behandlung erfahren, auf die sie ein Recht haben - weil sie Menschen sind. Andernfalls steht der Verdacht im Raum, dass eine rassistisch begründete Abschreckungs- und Abschottungslogik dem umfassenden und menschenrechtsorientierten Flüchtlingsschutz im Wege steht.

Ein erster wichtiger Schritt in Richtung der Gleichbehandlung aller Geflüchteter unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe wäre die schnelle Realisierung des im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angekündigten Paradigmenwechsels in der Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik gewesen. Die Einlösung der darin verankerten Absichtserklärungen gleich unmittelbar nach Amtsantritt oder wenigstens zeitgleich zur Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine hätte die jetzt zu beklagende Ungleichbehandlung wenigstens abgemildert:

Öffnung von sicheren und legalen Zugangswegen für Schutzsuchende durch ein Bundesaufnahmeprogramm; Erhöhung des Resettlement-Kontingentes; Herstellung von Aufenthaltssicherheit für gut integrierte und langjährig Geduldete; Recht auf Familiennachzug zu subsidiär geschützten Personen; Abschaffung von Arbeitsverboten; sofortiger Zugang zu Integrationskursen für alle; eine an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes orientierte Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes etc..

Alles das hat die inzwischen nicht mehr neue Bundesregierung bisher unterlassen. Wir fordern sie dazu auf, diese Vereinbarungen jetzt ohne weiteren zeitlichen Verzug endlich zu realisieren.

Zugleich können die Länder wichtige Beiträge dazu leisten, die Kluft zwischen den „einen“ und den „anderen“ schon jetzt schnell und wirkungsvoll zu verringern. Entsprechende Handlungsmöglichkeiten gibt es u.a. durch Vorgriffs-Erlasse im Hinblick auf die im Bund angekündigten Bleiberechtsregelungen oder durch eigene Landesaufnahmeprogramme.

Wir appellieren an die rheinland-pfälzische Landesregierung, von diesen Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse der Gleichbehandlung aller Geflüchteter im Land Gebrauch zu machen.
Mainz, den 25. Mai 2022

Erklärung zum Download

Unterzeichner:innen

Kemal Gülcehre, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration Rheinland-Pfalz (AGARP)
Gabriele Schneidewind, Geschäftsführerin ARBEIT & LEBEN gGmbH - Gesellschaft für Beratung und Bildung RLP
Prof. Dr. Gerhard Trabert, Vorsitzender Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
Antoinette Malkewitz, Projektleiterin civi kune Rheinland-Pfalz
Helmut Guggemos, Integrationsbeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz
Rafael Nikodemus, Beauftragter für Migration und Flucht der Evangelischen Kirche im Rheinland
Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Pierrette Onangolo, Geschäftsführerin Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V.
Torsten Jäger, Geschäftsführer Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP
Claudia Vortmann, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V.
Peimaneh Nemazi-Lofink, Geschäftsführerin Institut zur Förderung von Bildung und Integration - INBI
Pfarrer Albrecht Bähr, Vorsitzender der LIGA-Kommission „Soziale Sicherung, Migration, Armutsbekämpfung“
Joachim Schulte, Vorsitzender Netzwerk diskriminierungsfreies Rhein-land-Pfalz (NdRLP)
Seebrücke Rheinland-Pfalz

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