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Fußball-WM in Brasilien

Fußball und Gott

Petra Dirscherl/pixelio.deAllianz-Arena, MünchenAllianz-Arena, München

Die Erde ist rund und dreht sich einen Monat lang um Fußball. Dabei kommen sich Glaube und Fußball manchmal erstaunlich nahe.

privatPfarrer in der Evangelischen Studierendengemeinde an der Goethe-Universität und in der Commerzbank-Arena in Frankfurt a.M.
Musiker in der Band HABAKUKPfarrer Eugen Eckert

Von Stadionpfarrer Eugen Eckert (Evangelische Sonntags-Zeitung)

Mit dem Anstoß zum Spiel des Gastgeberlandes gegen Kroatien beginnt die Fußballweltmeisterschaft 2014. Einen Monat lang werden Millionen Menschen ihren Nachtschlaf opfern, um das Spektakel zu verfolgen. Warum tun sie das? 

Fußball ist doch nur ein Spiel. Könnte man denken. Ich nicht. Als Stadionpfarrer in der Frankfurter WM-Arena und ehemaliger Linksaußen beim FSV meine ich, dass Fußball vom Leben erzählt: von dessen schönen Seiten wie von den hässlichen. Von Glück und Unglück, Hoffnung und Resignation. Vom Fallen und vom Aufstehen. Von Siegen und Niederlagen. 

Ein Spiel dauert 90 Minuten

Urheber dieses philosophischen Satzes ist Alt-Bundestrainer Sepp Herberger. Man kann seinen Gedanken als banal abtun. Wer sich aber für ein paar Momente auf ihn einlässt, entdeckt: Im Fußball geht es zu wie im richtigen Leben. Der Satz führt vor Augen, dass die uns zur Verfügung stehende Zeit begrenzt ist. Psalm 90 formuliert diese existenzielle Wahrheit mit anderen Worten: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre.“ 

Unsere Zeit ist begrenzt

Der Psalm ist 2500 Jahre alt. Sein Dichter konnte nicht ahnen, dass die Entwicklungen auf dem Gebiet der Ernährung, Hygiene und Medizin die Leben von Menschen um 10 oder 20 Jahre verlängern würden. Aber auch wenn unser Leben 90 Jahre währt oder gar 100, gilt: Die Zeit, die uns zur Verfügung steht, ist begrenzt. So wie ein Fußballspiel mit dem Anpfiff startet und dem Abpfiff endet, beginnt unser Leben mit der Geburt und stößt im Sterben an seine Grenze. Dann steht das Ergebnis. Dann lässt sich nichts mehr korrigieren. 

Dazwischen aber bleibt die Zeit, das (Spiel-)Geschehen zu gestalten. Es kommt darauf an, was wir daraus machen. Wann verhalten wir uns offensiv, wann defensiv? Wie feiern wir Erfolge und wie gehen wir mit Rückschlägen um? Wann stehen wir im Abseits? Spielen wir foul? Sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen, etwa bei einem Elfmeter, oder verstecken wir uns lieber hinter anderen? 

„Fußball geht den Menschen deshalb so sehr unter die Haut, weil er die Dramatik ihres eigenen Lebens versinnbildlicht“, sagt der Kabarettist Gerhard Polt. Oder „kurz gesagt: Fußball ist ein Symbol für das menschliche Leben“. 

Fußball hat religiöse Züge

Spieler, die beten, sind keine Seltenheit. Fans bezeichnen sich bisweilen als Zeugen von Wundern. Sie feiern die erfahrene Gemeinschaft und sprechen von Erlösung, vor allem wenn der Schlusspfiff mit einem Sieg verbunden ist. Das sind Beispiele für religiöse Züge beim Fußball. Es ist kein Phänomen unserer Gegenwart, dass der Sport von einer Aura des Sakralen umgeben wird. „Schon in der Antike waren Stadion und Tempel nicht weit voneinander entfernt, und Statuen wurden sowohl den Göttern als auch den erfolgreichen Wettkämpfern errichtet“, schreibt der Theologe Andreas Merkt. 

Als der Journalist Herbert Zimmermann 1954 in der Radioübertragung des Endspiels von Bern mit seinem Schrei „Toni, du bist ein Fußballgott!“ den deutschen Nationaltorhüter in den Himmel hob, empfanden das viele Christen als Blasphemie. Die Rede vom „Fußballgott“ ist dennoch geblieben. Als Schalke 04 in der Bundesligasaison 2001 buchstäblich in letzter Sekunde der Meistertitel entrissen wurde, zerstörte dieser bittere Moment beim damaligen Schalke-Manager Rudi Assauer „den Glauben an den Fußballgott“. Sein Kontrahent Uli Hoeneß vom FC Bayern München hingegen hatte allen Grund, „dem lieben Gott zu danken“ für die 17. Deutsche Meisterschaft.

Gibt es einen Fußballgott?

Besonders von Journalisten werde ich gefragt, wie ich es mit der Rede vom „Fußballgott“ halte. Meine Antwort lautet: Wir Menschen brauchen Bilder in unserer Sprache, wenn wir über unsere Erfahrungen reden wollen. Auch unser Glaubensbekenntnis beginnt mit einem Bild: dem vom Vater. Alle Bilder, auf die wir zurückgreifen, sind nur Teilaspekte eines großen Ganzen. 

Paulus schreibt uns dazu ins Stammbuch: „Wir erkennen nur Bruchstücke, und unsere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, ist begrenzt“ (1. Korinther 13, 9). Bilder sind Bruchstücke. Darum gehe ich heiter damit um, wenn der „Fußballgott“ beschworen wird. Das Bild interpretiere ich so: Gott hat uns Menschen auch lieb, wenn wir spielen. Spielen zu können, verstehe ich als ein Charisma, eine Gabe Gottes. Fair zu bleiben, im Sieg und in der Niederlage, übrigens auch.

Probleme lösen und weiterleben

„Lebbe geht weider“, das Leben geht weiter. Für diesen Ausspruch ist Dragoslav Stepanovic bekannt. Bei einem Gespräch habe ich den serbischen Trainer nach dem Ursprung seiner Philosophie gefragt, die zum geflügelten Wort geworden ist. Seine Antwort: „Meine Mutter hat gesagt: ‚Junge, pass auf! Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Man muss sie so schnell wie möglich finden. Und dabei darf man nicht vergessen: Lebbe geht weiter! Es wartet nicht auf dich. Und deshalb, mein Sohn, siehe zu, dass du für jedes Problem eine Lösung suchst. Wenn es geht, sofort‘.“

Fußball und Glaube kommen einander manchmal sehr nahe

Ich finde diese Haltung ungemein hilfreich. So kann man dem eigenen Team die Daumen drücken und zugleich sehr entspannt mit den Nachbarn aus anderen Ländern die Weltmeisterschaft verfolgen. Gerade liegt auf meinem Tisch die Auslegung eines Abschnitts aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth. Sie stammt von Luise Schottroff, meiner neutestamentlichen Lehrerin und langjährigen Freundin. Beim Lesen kommt mir der Gedanke, ich hätte Luise Schottroff bei Gelegenheit mit Stepanovic bekanntmachen sollen. Ihr Artikel zu 2. Korinther 4, 6–12 trägt die Überschrift „Der Sieg des Leben“. Die Bibelwissenschaftlerin und der Fußballtrainer – die beiden könnten sich einiges erzählen. Und ich staune mal wieder, wie nah sich Fußball und Glaube manchmal kommen. 

Über den Autor

Eugen Eckert ist mit einer halben Stelle Stadionpfarrer. In der Kapelle im Frankfurter WM-Stadion haben seit 2007 mehr als 60 Taufen und 20 Trauungen stattgefunden. Zahlreiche Besuchergruppen nutzen dieses Angebot der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

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