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Positionspapier

Gleiche menschenwürdige Behandlung für ALLE!

iStock/Alessandro Biascioli

In ihrem Positionpapier hat sich die Liga der Wohlfahrtsverbände für Darmstadt und Darmstadt-Dieburg für gleiche Rechte aller schutzsuchenden Menschen ausgesprochen und fordert, die große Ungleichbehandlung zwischen den „einen" und den „anderen" geflüchteten Menschen zu beenden. Ein Paradigmenwechsels in der Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik sei notwendig und längst überfällig.

Wortlaut des Positionspapiers

Wir als Liga der Wohlfahrtsverbände für Darmstadt und Darmstadt-Dieburg sind in unserer sozialpolitischen Aufgabe fokussiert auf soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Beteiligung aller an der Gestaltung inklusiver Gemeinwesen und an umfassender Teilhabe statt Ausgrenzung. Entsprechende Maxime leiten somit unser fachliches und strategisches Handeln. Dieses Tun basiert auf Erfahrungen gerade aus unseren Einrichtungen und Angeboten und sind ein wesentlicher Beitrag zum respektvollen, solidarischen Miteinander und zum sozialen Frieden.

Zum Beginn der Interkulturellen Wochen 2022 möchten wir eine Facette aus der derzeit sehr komplexen und brisanten Themenlage herauslösen und gesondert betrachten: Die der geflüchteten Menschen, die bei uns Schutz suchen. Gerade hier erleb(t)en wir eine große Ungleichbehandlung zwischen den „einen" und den „anderen" geflüchteten Menschen. Die „Einen", das sind aus der Ukraine geflüchtete ukrainische Staatsangehörige; die „Anderen", das sind Menschen, die aus anderen Regionen dieser Erde in Deutschland Schutz vor Krieg und Gewalt suchen. Und diejenigen Ukraine-Flüchtlinge, die eine andere als die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen oder der Rom*nja-Minderheit angehören.

Diese Ungleichbehandlungen und Ungerechtigkeiten sollten nicht sein! Um nicht falsch verstanden zu werden: Die positiven Ansätze und Erfahrungen bei der Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten müssen genutzt werden, um die Zugangsmöglichkeiten nach Deutschland und die Lebenssituation in Deutschland und Europa für ALLE geflüchteten Menschen zu verbessern.

An dieser Stelle noch ein kleiner Schwenk in die Unterschiede:
Im Frühling 2022 erleben wir bei uns offene Grenzen, Übergangsregelungen, um einen rechtmäßigen ufenthalt zu ermöglichen, freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der EU und Deutschlands, Unterbringung in Wohnungen statt in Sammellagern, Aufenthaltserlaubnisse ohne lange Asylverfahren, unmittelbarer Zugang zu Integrationskursen, zum Arbeitsmarkt und zum Studium. So reagieren richtigerweise die Europäische Union und auch Deutschland auf die Not der Ukrainer *innen, die wegen des russischen Angriffskriegs gegen ihr Land zur Flucht gezwungen wurden und weiterhin werden.
Während die „Einen" mit Bussen an der Grenze abgeholt wurden und kostenlos in Europa Bahn fahren durften, müssen die „Anderen" mangels sicherer und legaler Fluchtwege weiter in Lebensgefahr oder Hungersnot ausharren und ihr Leben bei der Überfahrt über das Mittelmeer oder in den weitläufigen Wäldern Belarus riskieren.

Während die „Einen" größtenteils direkt in privaten Unterkünften untergebracht werden, müssen die „Anderen" monate- oder jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen in Elendslagern an den EU-Außengrenzen oder - im besseren Fall - in Sammellagern in Deutschland ausharren. Sie unterliegen einengenden gesetzlichen Regelungen und/ oder haben auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance.
Während die „Einen" bei Ausländerbehörden schnell einen Termin bekommen und schon mit Erteilung der sogenannten Fiktionsbescheinigung uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und gleichberechtigten Zugang zu allen Leistungen des Gesundheitssystems haben, warten die „Anderen" oft monatelang auf eine Vorsprachemöglichkeit. Sie müssen sich trotz mangelnder Rückkehrmöglichkeit über Jahre von Duldung zu Duldung hangeln und haben mit integrationsverhindernden Arbeitsverboten zu kämpfen.

Während die „Einen" auch ohne Schulabschluss Zugang zu deutschen Hochschulen bekommen, müssen die „Anderen" eine Hürde nach der anderen nehmen, um ihren Schulabschluss in Deutschland anerkannt zu bekommen und um „C 1“ -Deutschkenntnisse erwerben zu können.

Dass auch unter denjenigen, die aus der Ukraine zu uns fliehen mussten, zwischen den „Einen" und den „Anderen" unterschieden wird, macht deutlich, dass es bei diesen Ungleichbehandlungen vorwiegend nicht um Fluchtgründe geht. Unseres Erachtens können und möchten wir von einer Form von Rassismus sprechen. Anders können wir es nicht benennen und bewerten. Denn die „Einen", das sind weiße ukrainische Staatsangehörige; die „Anderen", das sind `People of Color`. Während für die „Einen" - so wie es für alle Menschen auf der Flucht selbstverständlich sein sollte - Grenzen und Türen geöffnet werden, bekommen die „Anderen" weiterhin die volle Härte der europäischen und deutschen Abschreckungs- und Abschottungspolitik zu spüren.

Eine Situation, die unseren Handlungs- und Bewertungsmaximen widerspricht und uns das Wort zum Beginn der Interkulturellen Wochen erheben lässt:

Wir befürworten die großzügige Aufnahme und die unbürokratische Gewährung integrationsfördernder Rechte im Hinblick auf ukrainische Geflüchtete ausdrücklich. Diese positive Aufnahmekultur mit rechtlichen Verankerungen sollte und muss übertragen werden in ihren menschenrechtsorientierten Rahmenbedingungen auf den Aufenthalt auch anderer geflüchteter und schutzsuchender Menschen.

Gleichbleibend beeindruckend und keine Unterscheidungen treffend, handeln gerade die ehrenamtlichen Hilfenetzwerke vor Ort. Diese sind eng verknüpft mit den professionellen Angeboten und gemeinsam auf Gleichbehandlung bedacht. Diese Haltung und das Tun sind für den sozialen Frieden unbedingt zu unterstützen und regelhaft zu fördern.

Die lokalen Gemeinwesen und die Träger in den Quartieren (z.B. mit Gemeinwesenarbeit) sind ebenfalls dabei, alle Möglichkeiten für ein Ausbalancieren zu nutzen. Gerade die auf Sozialräume ausgerichteten Arbeitsfelder sind im Rahmen von inkludierenden und teilhabebezogenen Gemeinwesen zu stärken.

Auch erleben wir, dass sich unsere Kommunen, die Landkreis- und die Stadtpolitiken im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemühen, die gerade vor Ort erlebbare Ungleichbehandlung abzufedern. Hier braucht es u.E. grundsätzliche Handlungsspielräume.

Wir brauchen eine humane Flüchtlingspolitik, die nicht durch das Unterscheiden gekennzeichnet ist. Alle müssen den Schutz erhalten und die menschenwürdige Behandlung erfahren, auf die sie ein Recht haben - weil sie Menschen sind! Ansonsten steht zu befürchten, dass eine rassistisch begründete Logik für Abschreckung und Abschottung einen menschenrechtsorientierteren Flüchtlingsschutz verhindert.
Was sollten und müssen Bundes- und Landespolitik u.E. tun:

Eine schnelle Ausführung des im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angekündigten Paradigmenwechsels in der Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik ist wichtig und muss vor dem Hintergrund der akuten und notwendigen Gerechtigkeitsdebatten dringend umgesetzt werden.

Es ist ein wesentlicher Schritt in Richtung der Gleichbehandlung aller Geflüchteter unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe. Aus dem geschriebenen Wort müssen Taten folgen! Dieses hätte direkt mit der Aufnahme von geflüchteten Menschen aus der Ukraine erfolgen müssen. Es wäre ein Teil einer „Zeitenwende“ gewesen und hätte u.E. die jetzt zu beklagende Ungleichbehandlung dämpfen können.

  • Abschaffung von Arbeitsverboten, dazu das Nutzen aller auf Landesebene bereits jetzt bestehenden Entscheidungsspielräumen zugunsten von Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration
  • Sofortiger Zugang zu Integrationskursen für alle
  • Herstellung von Aufenthaltssicherheit für gut integrierte und langjährig Geduldete
  • Recht auf Familiennachzug zu subsidiär geschützte Personen
  • Eine an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes orientierte Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes etc.
  • Öffnung von sicheren und legalen Zugangswegen für schutzsuchende Menschen durch ein Bundesaufnahmeprogramm
  • Erhöhung des Resettlement-Kontingentes

Zugleich können die Länder, kann Hessen wichtige Beiträge dazu leisten, die Kluft zwischen den Unterscheidungen schon jetzt schnell und wirkungsvoll zu verringern.

Entsprechende Handlungsmöglichkeiten gibt es u.a. durch (Vorgriffs-)Erlasse im Hinblick auf die im Bund angekündigten Bleiberechtsregelungen oder durch eigene Landesaufnahmeprogramme.

Unser hessischer Ministerpräsident Boris Rhein hat in seiner Regierungserklärung am 07.06.2022 noch für dieses Jahr ein eigenes Landesaufnahmeprogramm angekündigt, wie bereits im hessischen Koalitionsvertrag konstatiert. Dieses muss umgesetzt werden.

Wir appellieren an unsere Stadt- und Landkreispolitik, die hessische Landesregierung an ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse der Gleichbehandlung aller geflüchteter Menschen im Land zu erinnern. Und entsprechend auf die Bundespolitik hinzuwirken.

Wir als LIGA hoffen weiterhin auf schnelle Realisierungen und Anpassungen, denn es sind die Grundsteine und Rahmenbedingungen für sozialen Frieden, Zusammenhalt und Gerechtigkeit in einer gerade sehr verunsichernden und unsicheren Welt.

Und wir wissen, dass Unterschiede auch Unterschiede machen!

Positionspapier zum Download

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