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Zeugnisse

Interview: „Kinder haben Gefühl, dass gut sein nicht reicht“

dima_sidelnikov/istockphoto.com

Letzter Schultag - das bedeutet: Zeugnisse. Immer wieder sind Eltern oder Kinder mit den Noten unzufrieden. Die Sozialpädagogin Juliana Cunz erklärt im Interview, warum das nichts bringt und weshalb Scheitern zum Großwerden dazugehört.

Sollten Eltern ihre Kinder belohnen, wenn sie gute Noten nach Hause bringen?

Juliana Cunz: Belohnung für gute Noten ist grundsätzlich nicht verkehrt und auch üblich. Dabei sollten aber in erster Linie die Arbeitshaltung und Anstrengung der Kinder belohnt werden. Für diejenigen, die sich für gute Noten anstrengen müssen, ist Belohnung viel wichtiger als für die, denen alles zufliegt. Lob und Aufmunterung müssen wichtiger sein als eine materielle Belohnung, vor allem bei Grundschulkindern. Vorsicht auch bei Geldgeschenken: Hier stehen dann die materiellen Vorteile durchs Lernen im Vordergrund. Eine empfehlenswerte Alternative zum Geld kann ein gemeinsamer Ausflug mit der Familie sein, oder ein gemeinsames Eisessen.

Und bei schlechten Noten?

Cunz: Ärger und Druck zu Hause bringen gar nichts. Strafen wie Handyverbot dienen in erster Linie den Eltern, ihrem Ärger Luft zu machen und die Kinder für kurze Zeit unter Kontrolle zu bringen. Auch das Streichen von Freizeitaktivitäten, zum Beispiel von Sport, ist wenig sinnvoll, denn hier erlebt das Kind noch Erfolgserlebnisse außerhalb der Schule - wenn diese verboten werden, hat das Kind nichts mehr, worin es gut ist. Das wird als wenig motivierend erlebt. Motivation ist jedoch der Schlüssel zum Erfolg. Kinder wollen ihre Eltern nicht enttäuschen. Wenn die jedoch wegen der Noten enttäuscht sind, erleben sich die Kinder als Auslöser für elterlichen Ärger und haben Schuldgefühle. Kinder wollen von ihren Eltern geliebt werden und tun alles, um ihnen zu gefallen - das sollten die Eltern insbesondere am Zeugnistag nicht vergessen! Druck erzeugt Angst, und Angst blockiert. Besser ist es, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Eltern sollten sich als Helfende im Hintergrund positionieren und nicht sanktionieren, fordern und kontrollieren - das macht in der Regel die Schule schon. Der Auftrag an die Eltern lautet: Wie können wir dich unterstützen.

Haben Sie den Eindruck, dass Eltern mittlerweile zu viel Druck auf die Kinder ausüben, dass ihnen Bildung vielleicht zu wichtig ist? Sollte man den Kindern auch mal die Freiheit lassen, sich selbstständig aus einer Krise herauszuarbeiten?

Cunz: In zahlreichen Studien wurde gezeigt, dass ein hoher Leistungsdruck an Schulen herrscht. Jedes dritte Kind zwischen 7 und 9 Jahren ist in der Schule gestresst, nach dem Schulwechsel auf eine weiterführende Schule ist die Anzahl noch höher. Oft gibt es hohe Erwartungen der Eltern, die das Familienleben belasten. Eltern sind in großer Sorge, dass ihr Kind sich die Zukunft verbauen könnte und setzen Strafen oder Sanktionen aus Angst und Überforderung ein. Kinder wachsen heute vielfach mit dem Anspruch auf, nicht scheitern zu dürfen. Sie haben das Gefühl, dass gut sein allein nicht reicht, sondern dass sie besser oder sehr gut sein zu müssen - womit sich der Erfolg zahlreicher Nachhilfeinstitutionen begründet. Eltern wollen ihre Kinder vor dem Scheitern bewahren, zum Leidwesen der Kinder. Die dürfen nicht mehr die Erfahrung machen, eigene Grenzen zu erleben, sondern wachsen mit dem Gefühl auf, es alleine im Leben nicht zu schaffen.

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