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Blog aus Italien - Teil 4

„Nennt sie nicht Prostituierte"

bbiewOsas Egbon vom Verein „Frauen von Benin City"

„Niemand wird für uns kämpfen. Deshalb müssen wir für uns selbst kämpfen“, sagt Osas Egbon, die wir in Palermo treffen. Sie stammt aus Nigeria, lebt seit 15 Jahren in Italien und will mit dem von ihr mitgegründeten Verein „Frauen von Benin City" Mädchen und Frauen von der Straße holen. Benin ist die Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaates Edo.

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„Nennt sie nicht Prostituierte“, fordert Osas, „nennt sie Opfer!“ Den Frauen, viele von ihnen sind minderjährig, werde das Blaue vom Himmel versprochen, um sie nach Italien zu locken. Dort werden sie sexuell ausgebeutet und sie erleiden Gewalt. Osas weiß, wovon sie spricht. Sie selbst wurde ein Opfer von Menschenhandel und zur Prostitution gezwungen. Sie konnte sich befreien und hat sich in Palermo ein neues Leben aufgebaut. Unmittelbar vor dem Gespräch mit der Gruppe aus Hessen hatte Paola Fabbri Lipsch vom Zentrum Oekumene gefragt, ob es für sie in Ordnung sei, wenn ein Mann daran teilnehme. Die Antwort von Osas: „Na klar. Kein Problem.“

Nötig sind Jobs, von denen Menschen leben können

Der Verein „Frauen von Benin City" wurde gegründet, nachdem drei Nigerianerinnen ermordet wurden. Osas betrachtet es als ihre Verpflichtung, Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind wie sie selbst einst war, einen Ausstieg zu ermöglichen. Dabei schreckt sie auch vor Anzeigen bei der Polizei gegen die so genannten Madames oder Mamans nicht zurück. Frauen sind oft am Menschenhandel aktiv beteiligt. Die Mädchen und jungen Frauen werden in Nigeria durch Voodoo gefügig gemacht, der wie eine psychologische Schuld wirkt. Ein  Priester besiegelt den Pakt, indem er persönliche Gegenstände der Mädchen und Frauen als Pfand einbehält – Haare, Blut, Fotos. Dieser Pakt bindet das Opfer symbolisch an seine Herrin, die sich fortan "Maman" oder "Madame" nennen lässt.

Osas sagt, der Verein „Frauen von Benin City"  hätte durch Anzeigen schon „Mamans“ vor Gericht und ins Gefängnis gebracht. Auf die Frage, ob sie keine Angst vor Racheakten habe, sagt sie unerschrocken: „Für uns ist es nicht gefährlich. Sie haben Angst vor uns.“ Die Betonung auf dem letzten Wort. Auch wenn sie es schafft, Frauen von der Straße zu holen, ist ihr damit nicht automatisch dauerhafter Erfolg beschieden. „Wir brauchen ein Haus (shelter), um die Frauen sicher unterzubringen. Und die Gewalt können wir letztlich nur stoppen, wenn wir für sie Jobs finden, von denen sie leben können.“ Reguläre Jobs sind auf Sizilien rar und es gibt sie nur für Menschen, die einen Aufenthaltstitel haben. Welche Chancen haben dann Mädchen und Frauen aus Afrika, die das nicht vorweisen können?

Frühstück, Duschen und Nachhilfe für die Führerscheinprüfung

Im Centro Astali treffen wir Stefan aus Berlin, der dort nur Stefano gerufen wird. Er arbeitet dort seit anderthalb Monaten als Freiwilliger ohne jegliche finanzielle Unterstützung. Er war in Deutschland als Sozialarbeiter tätig und lebt derzeit von seinen Ersparnissen. Das Centro befindet sich in einem Gebäude, das die Jesuiten zur Verfügung gestellt haben. Für Geflüchtete, die sich dort anmelden können, gibt es täglich Frühstück, Duschen, eine Kleiderkammer, Sprachunterricht, juristische Beratung sowie medizinische Hilfe durch Ärzte und sogar Nachhilfeunterricht für die theoretische Führerscheinprüfung. „Der Andrang ist groß. Die Menschen nehmen die Angebote gern an“, sagt Stefan.

Abschiebung von München nach Palermo

Zudem hat das Centro Werkstätten eingerichtet. In einer Töpferei, einer Schneiderei und einer Tischlerei können Geflüchtete - wie Stefan sagt – „eine Mini-Ausbildung“ machen. Sie dient der Berufsvorbereitung, ist staatlich aber nicht anerkannt. Zu den Menschen, die Hilfe und Unterstützung im Centro bekommen, zählt nach der Schilderung von Stefan auch ein Mann aus Somalia, der zuvor acht Jahre in München lebte. Er spricht kein Italienisch, dafür perfekt Deutsch. In München hatte er nach seinem Hauptschulabschluss einen festen Arbeitsvertrag bei einem Sicherheitsunternehmen bekommen, das unter anderem die Bayern-Arena bewachte. Er wurde „dublinisiert“, das heißt auf Grundlage der Dublin-Abkommen der EU nach Italien abgeschoben. In Deutschland hatte er seinen richtigen Namen deshalb nicht angegeben, weil er in Italien zuerst EU-Boden betreten und dort Asyl beantragt hatte. Stefan sagt, dieser Somali weiß nicht, wie es weitergeht. Unter den Geflüchteten - etwa 80 Prozent sind junge Männer vor allem aus Nigeria, Niger, Ghana, Somalia und Eritrea - bemerkt er ohnehin eine Veränderung: „Die schärfere Gangart der italienischen Regierung gegen Migration bekommen sie am eigenen Leib zu spüren. Die Beleidigungen auf der Straße und auch Überfälle auf Geflüchtete haben zugenommen“

Freibier für alle, die ihre Wahl bereuen

Stefans „Chef“, der Leiter des Centro Astalli, Emanuele Carfella, nimmt bei seiner Kritik an der neuen rechtspopulistischen Regierung aus Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung ebenfalls kein Blatt vor den Mund. „Wir kennen die Namen und wir kennen die Geschichten der Geflüchteten. Sie wurden in Libyen wie Tiere behandelt. Frauen wurden vergewaltigt. Wir wollen hier mit ihnen auf Augenhöhe zusammenleben und zusammenarbeiten. Wir können Vertrauen zu ihnen aufbauen. Salvini (der italienische Innenminister Anmerk. D. Verf.) arbeitet dagegen. Er hat einen Feind. Das sind die Migranten“ sagt Emanuele.

Das Begegnungszentrum Molti Volti in Palermo hatte unlängst Freibier für alle versprochen, die die Fünf-Sterne-Bewegung gewählt hatten und es jetzt bereuen. Es sollen etliche Reumütige gekommen sein.

Blog aus Italien

Unter dem Motto "Europa mit menschlichem Antlitz" befinden sich derzeit vierzehn ehrenamtlich und vier hauptamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit auf einer Begegnungsreise durch Sizilien. Die Fahrt haben das Zentrum Oekumene und die Diakonie Hessen organisiert. Das Ziel: Austausch und Vernetzung mit italienischen Flüchtlingsinitiativen.

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