Kundgebung gegen Abschiebungen: 27. Juni Hanau
„Wir erleben eine Brutalisierung der Abschiebebehörden“
dildemir/Istock
10.06.2025
bj
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„Der vergangene Wahlkampf war von einer beschämenden rassistischen Hetze geprägt, in der sich nahezu alle Parteien in ihren Ausgrenzungs- und Abschiebeforderungen gegenseitig zu überbieten suchten, kritisieren der Arbeitskreis Asyl Hanau, kein mensch ist illegal hanau, die Diakonische Flüchtlingshilfe im Main-Kinzig-Kreis e.V., die Initiative Solidarisches Hanau und der Hessische Flüchtlingsrat in einer gemeinsamen Pressemitteilung:
Die Vertreibungsphantasien von Rechtsextremen - Stichwort „Remigration“ - hatten noch Anfang 2024 zu breiter Empörung und Massendemonstrationen geführt. Nur ein gutes Jahr später erleben wir eine Brutalisierung bei den Ausländerbehörden, die offensichtlich die Abschiebezahlen mit allen Mitteln in die Höhe treiben und damit eine neue Normalität schaffen soll. Das Leid der Betroffenen spielt keine Rolle, die Maßnahmen zielen vielmehr auf größtmögliche Abschreckung.
Wir sind beschämt und gleichzeitig wütend über das, was wir in der Beratung und Unterstützung von geflüchteten Menschen erleben müssen.
Wir dokumentieren im Folgenden drei aktuelle Beispiele der vergangenen Wochen aus Hanau und Maintal. Diese demonstrieren nicht nur die Härte und Gnadenlosigkeit der sogenannten „Rückführungsoffensive“ der alten wie der neuen Bundesregierung. Sie zeigen auch, dass es entgegen der offiziellen Propaganda nicht um „Straftäter“ oder sonst wie „sicherheitsrelevante Abschiebungen“ geht, sondern im Gegenteil:
dass hier Menschen betroffen sind, die Schutz gesucht haben, die sich nichts zu Schulden kommen ließen oder die längst integriert waren.
Am Freitag, den 27. Juni werden wir uns um 18 Uhr am Freiheitsplatz versammeln und ihre Geschichten erzählen. Denn sie fehlen: hier in unsere Mitte.
Über 20 Jahre in Hanau und dennoch abgeschoben
Frau K. reiste 2003 im Rahmen der Familienzusammenführung aus der Türkei zu ihrem Ehemann nach Deutschland. Beide lebten zusammen in Hanau und Frau K. war während der 15-jährigen Ehe als Hausfrau tätig.
Aufgrund der Ehe war sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. 2018 verstarb ihr Mann. 2020 erhielt sie eine einjährige Aufenthaltserlaubnis mit der Information, dass für deren Verlängerung die Sicherung des Lebensunterhalts Voraussetzung sei. Das gelang ihr aber nicht, weil sie nach dem Tod ihres Mannes dauerhaft erkrankte, vorher nicht berufstätig war und auch keine Ausbildung absolviert hatte. Sie wurde deshalb durch die Ausländerbehörde zur Ausreise aufgefordert. Frau K. bezieht seit dem Tod ihres Ehemannes eine Witwenrente in Höhe von 428 Euro. Seit dem 1.1.2024 hatte sich ihr Lebensgefährte offiziell verpflichtet, sämtliche Kosten des Lebensunterhalts für Frau K. zu übernehmen. Er selbst arbeitete in Vollzeit und hat ein Einkommen, das zusammen mit der Witwenrente für den Lebensunterhalt von beiden ausreichte.
Frau K. ist Hanauerin, die 22 Jahre hier gelebt hat. Sie ist hier verwurzelt und hat einen Lebensgefährten gefunden, der ihr zur Seite steht und sie unterstützt. Ihr Lebensunterhalt war gesichert. Doch am 2. Mai um 22 Uhr wurde Frau K. zuhause von der Polizei abgeholt und kam nach Darmstadt in Abschiebehaft. Eine Petition für ein humanitäres Bleiberecht wurde nicht mehr geprüft. Am 8.Mai wurde sie nach Istanbul abgeschoben. Sie kam dort abends um 20 Uhr an. Von ihrer Familie gibt es niemanden mehr in Istanbul.
Familie mit Kleinkindern zur Abschiebung auseinandergerissen - Hauptsache raus?
Die kurdische Familie C. floh im Jahr 2022 mit zwei kleinen Kindern wegen politischer Verfolgung aus der Türkei nach Deutschland. Die Familie kam nach Hanau, hatte sich hier bald eingelebt. Der Vater fand schnell einen Job als Baggerfahrer und Vorarbeiter einer Baufirma und erhielt dann sogar einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit ausreichend Einkommen für die gesamte Familie. 2023 wurde in Deutschland ihr drittes Kind geboren. Doch in der gleichen Zeit wurden die Asylanträge der Familie abgelehnt, auch ein Klage- und Berufungsverfahren verliefen
2024 negativ. Trotz erfolgreicher Integration, eigenem Einkommen sowie gesundheitlichen Problemen der Ehefrau - mit Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung - drängten die zuständigen Behörden auf Ausreise. Am 29. April 2025 kam die Polizei in die Wohnung und traf auf die Mutter und die zwei kleineren Kinder. Der Vater war unterwegs, die 7jährige Tochter war bei Bekannten. Der Mutter wurde verweigert, zumindest ihre Tochter abzuholen, stattdessen wurde sie mit ihren zwei kleinen Kindern sofort zum Flughafen verfrachtet und abgeschoben. Die Familie wurde zur Abschiebung auseinandergerissen. Der Vater ging mit seiner hier gebliebenen Tochter anschließend sofort zur Behörde, um ebenfalls abgeschoben zu werden und seine Familie nicht alleine zu lassen. Doch er wurde vertröstet und musste tagelang warten.
Offensichtlich ging es der Behörde nicht nur um schnellstmögliche Abschiebung um jeden Preis, sondern auch um Bestrafung und Abschreckung.
Gut integrierter junger Mann aus Maintal wird inhaftiert und in eigens für Abschiebungen in den Irak gecharterten Maschine abgeschoben.
Mohamed T. floh 2020 aus dem Irak nach Deutschland. Er lebte in Maintal. Er habe im Irak mit ansehen müssen, wie der IS Menschen ermordete. „Es waren unschuldige Menschen. Es waren Zivilisten. Es waren meine Landsleute.” Er litt seitdem an Schlafstörungen und Angstattacken und befürchtete immer wieder er könne aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen werden. Zudem litt Herr T. an Morbus Crohn. Dennoch bemühte er sich sehr. Trotz seiner Erkrankung arbeitete er als Produktionshelfer. Am 23.4.25 meldete er sich mit der folgenden
Nachricht: „Guten Abend, ich bin Mohammed T. Ich befinde mich derzeit im Abschiebezentrum in Darmstadt. Gestern ist die Polizei in mein Haus gekommen und hat mich zum Abschiebezentrum gebracht. Bitte helfen Sie mir, ich brauche dringend Hilfe. Vielen Dank.“ Es ist uns nicht gelungen ihm zu helfen.
Am Dienstag, 29.04.2025 wurde Mohammed T. mit einer Maschine, die als reiner Abschiebeflug gechartert wurde, vom Frankfurter Flughafen nach Bagdad abgeschoben, zusammen mit vielen weiteren Irakern unter Einsatz massiver Polizeibegleitung und ohne Zeugen. In den Irak wird auf diese Weise bereits seit 2020 wieder regelmäßig abgeschoben. Auch jesidische Familien, die Opfer des Völkermords durch den IS wurden, waren unter den Abgeschobenen.
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