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Zeitzeugengespräch

Schüler begegnen polnischen Auschwitz-Überlebenden

Der deutsche Überfall auf Polen jährt sich zum 80. Mal. Dabei macht es einen Unterschied, ob Jugendliche von den Folgen im Geschichtsbuch lesen oder polnischen Zeitzeugen begegnen. Ein persönliches Treffen ermöglicht eine zwischenmenschliche Nähe, die kein Film ersetzen kann. Jetzt haben Schülerinnen und Schüler drei Auschwitz-Überlebende kennen gelernt. Ermöglicht hat das der kürzlich in Warschau ausgezeichnete evangelische Verein „Zeichen der Hoffnung“.

„Bitte lasst nicht zu, dass diese Grausamkeiten noch einmal passieren. Wir dürfen nie aufhören, uns an den Holocaust zu erinnern “ – Janina Reklajtis sitzt am Pult eines Klassenzimmers der Albrecht-Dürer-Schule in Wiesbaden. Im Halbkreis haben sich die Realschülerinnen und -schüler der 10. Klasse auf Stühlen um sie versammelt.

Die 85-Jährige ist eine schmale kleine Frau mit wachen Augen und deutlicher Stimme. Sie spricht vom Konzentrationslager Auschwitz, von Apellen, der Rampe, von Hunger, Angst, aber auch von Liedern und Gedichten, aus denen sie Hoffnung geschöpft hat.

Verein ermöglicht Gespräche von KZ-Überlebenden mit jungen Menschen

Janina Reklajtis kam mit zehn Jahren nach Auschwitz, im August 1944 nach dem Aufstand in Warschau. Im Januar 1945 wurde sie von der Roten Armee befreit. Dass sie und zwei weitere KZ-Überlebende aus Warschau jetzt, 75 Jahre später, und 80 Jahre nach dem Überfall der Deutschen auf Polen, in Wiesbaden zu Gast sind, ist dem Verein „Zeichen der Hoffnung“ zu verdanken, der auf Initiative des Wiesbadener Pfarrers Klaus Endter seit Jahren in Schulen Zeitzeugengespräche organisiert.
Für eine Woche reisen die polnischen Gäste in die hessische Landeshauptstadt und stehen in fünf Wiesbadener Schulen jungen Menschen Rede und Antwort.

Persönliche Begegnungen sollen Antisemitismus und Rassismus vorbeugen

Die Schulen sind in Zeiten, in denen Rassismus und Antisemitismus wieder zunehmen, dankbar für die Initiative des Vereins: „Zeitzeugengespräche sind Aufgabe einer jeden Schule“, findet der Schulleiter der Albrecht-Dürer-Schule Konrad Simon. „Die Jugendlichen haben natürlich keine persönliche Schuld, aber eine historische. Und sie erleben hier Geschichte live.“
Auch Geschichtslehrer Johannes Geertsen, der seit mehreren Jahren die Zeitzeugengespräche in den Klassen vorbereitet und begleitet und selbst im Verein „Zeichen der Hoffnung“ aktiv ist, sagt: „Wenn die Schülerinnen und Schüler persönliche Geschichten von Menschen erfahren, ist das was ganz anderes als etwa einen Film anzuschauen oder ein Buch zu lesen. Die Nähe, die während dieser Gespräche im Klassenraum entsteht, die kann man filmisch nicht ersetzen.“

 

Bilder von Ausschwitz bis heute in den Träumen der Überlebenden

Diese Nähe kann man auch an diesem Vormittag spüren: Es ist still, als Janina Reklajtis erzählt: vom Hall der schweren Soldatenstiefel auf den Pflastersteinen des Lagers, vom Bellen der Hunde, wenn nachts ein Häftling versucht auszubrechen und erschossen wird. „Dieses Bild“, so Janina Reklajtis, „als wir in Auschwitz ankommen, aus dem Waggon steigen und auf die Rampe treten, und dann stehen da diese SS-Männern mit ihren langen schwarzen Mänteln und den Hunden – dieses Bild steckt tief in mir drin, es verfolgt mich bis heute in meinen Träumen.“

 

Bild von Deutschland hat sich gewandelt

Die 85-Jährige berichtet, dass sie bis in die 80er-Jahre nichts von Deutschland wissen wollte: „Ich habe Deutschland gehasst, schon der Klang der Sprache hat mir Angst eingejagt. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, deutsch zu lernen.“ Als sie dann doch nach Deutschland kommt, organisiert über einen deutsch-polnischen Versöhnungsverein, ist sie überrascht wie freundlich und herzlich sie empfangen wird. „Da hat sich mein Bild von Deutschland komplett gewandelt“, so Janina Reklajtis. „Heute komme ich gerne.“

 

"Da muss es einen Gott gegeben haben"

Die Schülerinnen und Schüler hören der 85-Jährigen gebannt zu, sind erst ein bisschen schüchtern, aber dann doch neugierig: „Wovor hatten Sie am meisten Angst? Wo haben Sie Hoffnung geschöpft? Wie haben Sie es geschafft, diese Hölle zu überleben, und hat Gott für Sie eine Rolle gespielt?“, fragen sie.
Janina Reklajtis freut sich über das große Interesse der Jugendlichen und erzählt von ihrer Angst vor Ungeziefer, das von oben auf die Pritschen fiel, und von einem Mädchen in ihrem Alter, dass ihr zur Freundin geworden ist. An Gottes Existenz hat die Katholikin trotz der Schikanen im Lager nie gezweifelt: „Als wir das Lager betraten, waren wir von Anfang an zum Tode verurteilt. Ich habe es dennoch überlebt – da muss es einen Gott gegeben haben.“ 

Auszeichnung für „Zeichen der Hoffnung“

Der Verein „Zeichen der Hoffnung“ ist in diesem Jahr in einem ökumenischen Gottesdienst am 31. August in Warschau für „überragende Versöhnungsverdienste” ausgezeichnet worden. Der Gottesdienst - verantwortet vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Polnischen Ökumenischen Rat - fand anlässlich des Gedenkens an den deutschen Überfall auf Polen vor 80 Jahren statt. 

„Zeichen der Hoffnung“ ist eine evangelische Initiative, die für eine bessere Zukunft von Polen und Deutschen arbeitet. Der Verein wurde 1977 gegründet als Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung. Die Beziehungen zwischen beiden Völkern waren über Jahrhunderte stark belastet, zuletzt durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über Polen im 2. Weltkrieg. „Zeichen der Hoffnung“ unterstützt Polinnen und Polen, die in nationalsozialistischen Konzentrations- und Arbeitslagern gelitten haben. Ziel ist es, Vertrauen zu schaffen, Begegnungen zu fördern und so die Grundlagen zu schaffen für ein neues Verhältnis zwischen Polen und Deutschen in einem zusammenwachsenden Europa.

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