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Blickwechsel

Zwischen Gastfreundschaft und Integration in modernen Staaten

Marco Dierbach/Pixabay

Heiligabend 2014: Nachdem wir tagelang das Meer überquert hatten, kamen wir an Heiligabend an einem Strand an, der uns nicht ähnlich war. Fairerweise muss ich sagen, dass ich die Anzahl der Überlebenden bis jetzt noch nicht gezählt habe. Vielleicht bin ich einer von ihnen, sage ich mir immer wieder, oder ich bin dort in den Tiefen des Meeres mit den Toten gestorben, und wer jetzt zu euch spricht, ist nichts als mein Geist.

Freundliche Aufnahme, und der Gewährung von Schutz waren alles, wovon ich als fremder Gast träumte. Dieser Traum in einer Leistungsgesellschaft ähnelte meinem Traum vom Weihnachtsmann, als ich Kind war, dieser schöne Gast mit seinem weißen Bart, für den ich immer meine Stiefel vor unsere Haustür stellte, und sie für mich gefüllt wurden, voller Weihnachtsgeschenke. Aber ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen.

Und als ich älter wurde, wurde mir klar, dass der Weihnachtsmann nichts anderes als eine schöne Illusion ist, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, oder vielleicht eine schöne Idee über den Gast. Also habe ich mich als dieser Mann verkleidet, damit meine Kinder den Weihnachtsmann als einen realistischen Traum sehen  oder um ihnen vielleicht als Gastkinder die Liebe des Gastes einzuflößen.

Weihnachten 2022
Weihnachten gestaltet wieder unsere Nacht. Im Haus steht ein Weihnachtsbaum, den ich absichtlich in die Nähe des Fensters gestellt habe, damit seine Lichter unsere wahre Absicht zur Integration anzeigen. Ein paar Flaschen Rotwein für den gleichen Zweck. Von der Ferne sind Kirchenglocken zu hören. Ich fragte meine Frau, ob sie das Abendessen für die Heiligabendgäste fertig vorbereitet hat.

Sie antwortete kurz, eine unverständliche Antwort. Aber sie scheint sich sicher zu sein, dass die Zufriedenheit der Gäste sich nie auf die Qualität und Quantität dessen, was der Gastgeber gibt, bezieht, sondern auf die angenehme Zeit, die sie zusammen verbringen.

„Das Leben hier ist schön, wenn die Straßen bei Einbruch der Dunkelheit nicht menschenleer wären und wenn wir öfter Gäste hätten“, das sage ich immer, wenn mich jemand nach dem Leben in meiner neuen Heimat fragt. Deshalb freuen wir uns immer, von Gästen umgeben zu sein, besonders von angenehmen Gästen, die uns nach dem Abendessen wieder verlassen, um uns einen Teil der Nacht zu überlassen.

„Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gast und der Zeit, die er in der Gastfreundschaft seines Gastgebers verbringt?“, frage ich mich. Ist die Gastfreundschaft ein zeitlich befristetes Verhältnis? Was aber, wenn der Gast freiwillig oder zwangsweise auf das Rückgaberecht verzichtet?

Die Fragen scheinen bedeutungslos, denn Gastfreundschaft bedeutet eine unbedingte Beziehung zwischen dem Gast und seinem Gastgeber, die nicht auf Rechte und Pflichten reduziert werden kann, außer in modernen Staaten, die Gastfreundschaft durch Integration ersetzt haben.

Die Türklingel unterbricht meine Überlegungen, ich beeile mich, die Tür zu öffnen, ich sehe niemanden.
Ich gehe zurück zum Spiegel, ich sehe mein Gesicht deutlich. Ich frage mich, ob ich mein eigener Gast geworden bin und inwiefern bin ich hier willkommen?

Text: Wael Deeb

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